Dr. Ali Mohammad Qasemi[1]
Philosophen beschreiben die Seele als eine immaterielle Sache und als treibende Kraft des Körpers und seiner Perfektion. Aus Sicht der Philosophen hat die Seele viele Lebensmerkmale wie z.B. Ernährung, Wachstum, Fortpflanzung, Empfindungen, Harmonie mit der Umgebung, Entscheidungskraft und Zustände wie Freude, Trauer, Nervosität und Unruhe. All diese Faktoren sind Auswirkungen der Seele. Man sollte aber beachten, dass die Seele verschiedene Ebenen hat. Ebenen wie die pflanzliche, tierische und menschliche, von denen jede ihre eigenen Auswirkungen hat. Als Beispiel sind Atmen, Ernährung, Wachstum, Fortpflanzung und Harmonie mit der Umgebung Auswirkungen der pflanzlichen Ebene. Zuzüglich dieser Attribute gehören Empfindungen und Entscheidungskraft der tierischen und der menschlichen Ebene an. Sie beinhalten außerdem das Denken und den Verstand. Von daher besitzt die menschliche Seele sowohl Eigenschaften der pflanzlichen und tierischen Ebene als auch das Denken und den Verstand[2].
Im Qur’an wird für die Seele entweder das Wort „Ruh“ oder das Wort „Nafs“ benutzt, aber durch die Betrachtung einiger Verse und Überlieferungen kommt man zu dem Schluss, dass beide Wörter die gleiche Bedeutung haben. Somit meinen beide die Seele. Die menschliche Seele hat die Kraft und das Talent, um durch die Ausführung ihrer Vorhaben die höchste Stufe der Glückseligkeit zu erreichen oder in Niederträchtigkeit und Verachtung zu verfallen. Aber diese Vorhaben können nur erreicht werden, wenn die Seele an den Körper gebunden ist und sich nicht gelöst hat. Die Seele ist ein unsterbliches Wesen, das nur mit Hilfe des Körpers seine inneren Talente zum Vorschein bringen kann, um ewige Glückseligkeit oder ewige Verdammnis zu erlangen[3]. Nach dem Tod und der Lösung der Seele vom Körper verweilt die Seele bis zum Tag des Jüngsten Gerichts an einem Ort der Existenz namens „Barsakh“. Danach wird die Seele entweder im Paradies die ewigen Gaben nutzen oder in der Hölle den ewigen Qualen ausgesetzt sein.
Beschreibung der Zwischenwelt Die Bedeutung von „Barsakh“
Fast alle Sprachwissenschaftler definieren das Wort „Barsakh“ als Abstand zwischen zwei Dingen[4]. Nicht nur die Sprachwissenschaftler, auch in Redewendungen der Gnostiker, Theologen und Philosophen wird „Barsakh“ als der Bereich zwischen zwei Dingen definiert. Ebenso haben islamische Theologen und Philosophen unter Berücksichtigung der Bedeutung des Wortes den Bereich zwischen der materiellen und der immateriellen Welt als „Barsakh“ oder als „Aalam-e Messaal“ bezeichnet. Theologen sind unter Berücksichtigung von Versen aus dem Qur’an und der Überlieferung der Meinung, dass zwischen dem Diesseits und dem Jenseits eine Zwischenwelt namens Barsakh existiert, wo die Seelen der Menschen sich nach dem Tod aufhalten[5].
Barsakh als Entsagung der Seele von der Zuneigung zum Körper
Solange die Seele dem Diesseits und dem Körper gehört, kann sie sich weiterentwickeln. Mit dem Erwerb erwünschter oder unerwünschter Eigenschaften oder der Erlangung richtiger oder nichtiger Überzeugungen kann die Seele ihre inneren Talente formen. Aber nach der Trennung vom Körper und der Entsagung von der Zuneigung zum Diesseits, kann es die Geschöpfe der Zwischenwelt „Barsakh“ wahrnehmen. Die menschliche Seele, die schon am Anfang der Schöpfung zum Körper gehört, kann Verhaltensmerkmale wie Moral und Gnade oder hässliche und unsittliche Merkmale erlangen. Genau die Menge an erworbenen Überzeugungen und Verhaltensmerkmalen werden durch seine Begabungen verwirklicht.
Wenn sie Moral, Gnade und Recht erworben hat, wird sie den Engeln und Gesegneten zugehören und die ewige Glückseligkeit erlangen. Wenn sie sich jedoch nichtige und unsittliche Überzeugungen angeeignet hat, wird sie dem Dämonischen und Üblen zugehören. Somit tritt die Seele, die am Beginn ihrer Existenz gegenüber allen Merkmalen und Eigenschaften aufnahmebereit und unbeschrieben war, nach dem Erwerb von Überzeugungen und Eigenschaften aus diesem Zustand heraus und erfährt eine substanzielle Wandlung und verwirklicht diese. Hiernach verlässt die Seele den Körper und wird in allgemeinen unabhängig vom Körper zu einem selbständigen Wesen, das keinerlei Kraft besitzt.
Also ist der Grund des Bedarfs des Körpers für die Seele der, dass die Seele die Kraft für das Erlangen ihrer Überzeugungen und Eigenschaften ist und diese nur durch die Zugehörigkeit zum Körper verwirklichen kann. Nach der Lösung vom Körper ist die Seele nur noch die Verwirklichung der Taten und hat keinerlei Erwartung und Ausübungskräfte. Wenn dieses getrennte Wesen vom Körper Rechte und moralisches Wissen besitzt, erreicht es eine heilige Welt, die Heimat der Engel und wird mit Ihnen auferstehen. Aber die Seele, die sich teuflische Eigenschaften wie Unwissenheit, Unterdrückung und weitere angeeignet hat, wird mit den Dämonen auferstehen und Qualen ausgesetzt sein. Die ungehorsamen, ungläubigen und grausamen Seelen haben Ihre Möglichkeiten und Talente in Diesseits nicht positiv genutzt und in der Grausamkeit die Vervollkommnung erreicht[6]. Jedenfalls hat die Seele, solange sie nicht vom Körper getrennt wird, die Möglichkeit, sich Eigenschaften wie Seligkeit oder Grausamkeit anzueignen. So wird sie zu einem Gesicht der menschlichen oder tierischen Gesichter. Dies ist eine Besonderheit der menschlichen Seele, die sehr viele verschiedene Fähigkeiten besitzt.
Das Ausmaß der Zwischenwelt
Da die Naturwelt materiell und begrenzt ist, untersteht der menschliche Körper auch diesen Gesetzen und ist in der Ausführung materieller und körperlicher Anstrengungen begrenzt. Aber genau dieser begrenzte Mensch kann, wenn er will, größte gedankliche und geistige Taten vollziehen. Solche Weisungen sind für ihn möglich. Das Verhältnis der Naturwelt und der Zwischenwelt ist auch so. Dies bedeutet, dass die menschliche Seele wegen der Zugehörigkeit zur Materie nicht in der Lage ist, jede Art von Tätigkeit in einer begrenzten materiellen Umgebung auszuüben, aber nach der Trennung vom Körper und dem Eintritt in die Zwischenwelt erhält sie außergewöhnliche und unvorstellbare Fähigkeiten.
Die materielle Welt ist ein Modell der Zwischenwelt, die Qualität, Quantität und Materie besitzt. Die Zwischenwelt ist ein Modell des Tages der Auferstehung und der Tag der Auferstehung ist ein Modell der Welt der Zeichen und Eigenschaften Gottes. Umso mehr wir uns von dieser begrenzten Welt entfernen, werden die Welten umfangreicher und unermesslicher. Im Gegensatz dazu werden die Welten schwächer und kleiner, umso mehr wir von den höheren Welten absteigen. So gibt auch das Gesicht eines Menschen, das in einem Spiegel wiedergespiegelt wird. Der Spiegel gibt nämlich nur die Form und Farbe wieder und nicht die Wahrheit des Menschen wieder. Die materielle Welt zeigt nur im Rahmen ihrer begrenzten Kapazität die Zwischenwelt, da die Zwischenwelt nicht herabsteigen kann und nicht im Spiegel der Materie wiedergespiegelt werden kann. Die Zwischenwelt ist so umfangreich, dass sie nicht nur mit den äußeren Augen nicht zu sehen ist, sondern mit keinem der Sinnesorgane zu erfassen ist, da diese Sinne nur für die Verbindung zur materiellen Welt verwendet werden.
Um dies besser zu verstehen, sollten wir die drei Stufen der menschlichen Existenz betrachten:
- a) Der menschliche Körper, der von der materiellen Welt stammt und mit allen Körperteilen und Organen in Bewegung ist, untersteht der Veränderung und besitzt keine Stabilität und Beständigkeit.
- b) Das menschliche Bewusstsein, das die Kraft zum Denken, Phantasie, Einbildung und Erinnerung besitzt, hat die Fähigkeit sich tausende Gesichter, Formen und Bedeutungen zu merken oder diese mit seinem Willen zu erzeugen. Das menschliche Bewusstsein hat den Körper erobert und setzt seine Vorhaben mit dem Körper in die Tat um.
- c) Die Seele und die Wahrheit des Menschen sind umfangreicher und feiner als das Bewusstsein. Im Bewusstsein war die Qualität und Quantität der Wesen im Gedanken von Bedeutung, aber in der Seele ist dies nicht der Fall. Die Seele besitzt eine Wahrheit, die größer als die Kraft ist und höher als Eigenschaften. Alle inneren Kräfte und Eigenschaften sind Ausstrahlungen seiner Existenz und unterstehen ihm.
Diese drei Stufen der menschlichen Existenz sind jeweils ein Beispiel für die drei Welten der Existenz. Der Körper ist ein Bespiel für das Universum und die Naturwelt, das Bewusstsein ist ein Beispiel für die Zwischenwelt und die rationale Seele und die Wahrheit des Menschen sind ein Beispiel für den Tag der Auferstehung.
Die Eigenschaften der Zwischenwelten Die Zwischenwelt des Körpers
Sowohl in der islamischen Philosophie als auch in Versen und Überlieferungen wird von zwischenweltlichen Körpern (oder Form-Beispielen) gesprochen, in die die Seelen nach dem Lösen vom weltlichen Körper schlüpfen. In jedem Fall ist die Zuweisung der Seele zu dem genannten Körper in der Zwischenwelt ein Charakteristikum der Zwischenwelt. Hier könnte die Frage entstehen, ob diese zwischenweltlichen Körper eine Gegebenheit getrennt von der Seele sind und separat erschaffen wurden oder der Seele zugehören? Als Antwort muss man sagen: das Verhältnis des Körpers zur Seele verhält sich wie das Verhältnis der Sonne zum Sonnenlicht. Der zwischenweltliche Körper ist nichts, was außerhalb des Menschen existiert. Die Seele begibt sich in diesen Körper hinein. Der Körper und die Seele sind nicht wie die Kleidung und der Mensch, so dass die Seele sich hineinbegibt und wenn sie möchte, aus den Körper austritt. Die Wahrheit des Menschen kann nämlich nicht in eine Form außerhalb ihrer selbst eintreten kann. Also besteht zwischen dem zwischenweltlichen Körper und der Seele eine Zusammengehörigkeit und Einigkeit[7].
Genuss und Qualen in der Zwischenwelt
Ohne Zweifel, besteht eine Verbindung zwischen den gewollten Taten eines Menschen und dessen Ergebnisse. So war auch ein Grund der Ernennung der Propheten, die Menschen über diese Wahrheit aufzuklären. Alle weltlichen Taten und auch die Vorhaben des Menschen haben einen großen Einfluss auf die Entstehung der seelischen Eigenschaften, soweit das der Mensch basierend auf diesen entstandenen Eigenschaften, sein Leben in der Zwischenwelt fortsetzt. Am Tag der Auferstehung wird der Mensch auch basierend dieser Eigenschaften auferstehen und sich dazu ein passendes Aussehen aneignen. Es hängt aber davon ab welche Überzeugungen und Eigenschaften sich die Menschen angeeignet haben. Wenn zwischen der Seele und den Eigenschaften Einklang und Harmonie herrscht, wird die Seele ein Genuss und Wohlwollen empfinden. Aber wenn kein Einklang besteht werden diese Eigenschaften in der Zwischenwelt, eine Last und Qualen für die Seele sein. In Wahrheit ist dieser Genuss und die Last, Aneignungen der menschlichen Seele in dieser Welt durch den weltlichen Körper als Werkzeug. Für die Menschen die sich dauerhaft mit materiellen und tierischen Gelüsten beschäftigt haben, wird es in der Zwischenwelt keine spirituellen Genüsse und dass was für wirkliche Menschen vorgesehen ist geben. Diese Menschen haben für sich statt zwischenweltliche Genüsse, die selbst Stufen haben, Leid in der Zwischenwelt erzeugt. Dieses Leid und die Qualen sind auf jede Person und ihre Taten verhältnismäßig bezogen und bei jedem unterschiedlich.
Die Ganzheitlichkeit der Zwischenwelt
Die menschliche Seele führt ihr Dasein nach der Lösung von dem weltlichen Körper mit ihrem zwischenweltlichen Körper in der Zwischenwelt fort. Dies ist ein Weg, den alle Menschen gehen. Das bedeutet, dass diese Vorkommnisse sind nicht nur für bestimmte Menschen gedacht sind, die eine gewisse Vollkommenheit erreicht haben.
Die Zwischenwelt im Qur’an und in den Überlieferungen
Mit der Überprüfung von Versen des heiligen Qur’an und den Überlieferungen kommen wir zu dem Schluss, dass der Tod nicht das Ende des Lebens ist, weil die Seele eine unsterbliche und ewige Schöpfung ist, die in einer anderen Welt weiterlebt. Mit genauerem Blick auf die Verse des Qur’an sehen wir, dass der Islam den Tod als Weisung der Existenz sieht und nicht als Weisung der Auslöschung und Zerstörung. Mit anderen Worten hat der Tod eine eigene Existenz. Daher dürfen wir das Ende des Lebens nicht als den Tod bezeichnen. Von daher sieht der heilige Qur’an den Tod wie das Leben als Weisung der Existenz. Diese sind beides Teile der göttlichen Schöpfung (Al-Mulk | 67:2).
Ebenfalls ist in einigen Versen statt Tod das Wort „Tavaffa“ verwendet worden, was selbst der Beweis einer Existenz ohne Tod ist (vgl. az-Zumar | 39:42; Sajdah | 32: 11; al-An’am | 6:61). Das Wort „Tavaffa“ bedeutet das gänzliche und totale Nehmen. Hier bedeutet es jedoch das Wegnehmen der Seele durch Gott oder die Engel. Hierzu muss man beachten, dass das, was bei Gott ist, Bestand hat (an-Nahl | 16:96). Das ist mit Hilfe des Verstandes in der islamischen Philosophie bewiesen worden. Diese Auslegung deutet ebenfalls auf ein weiter anhaltendes Leben in einer Welt über der materiellen Welt hin, nämlich in der Zwischenwelt. Aus den Überlieferungen entnimmt man ebenso, dass der Tod eine Existenz ist. Als Beispiel sagt Imam Ali (a.) in seiner „Nahdsch-ul-Balaqa“: „Eilt in Richtung eurer Heime, der Heime, mit deren Aufbau ihr beauftragt wurdet; Heime, die ihr geliebt habt und zu denen ihr eingeladen wurdet.“[8]
Imam Hossein (a.) sprach zu seinen Gefährten: „Der Tod ist die einzige Brücke, die euch aus Leid, Bedrückung und Unglück zu den großen Gärten und ewigen Gaben bringt. Wer von euch würde die Verlegung aus einem Gefängnis in einen Palast nicht gutheißen und sie ablehnen wollen? Dieser Tod ist für eure Feinde so, als wenn man einen Menschen aus einem Palast in ein Gefängnis verlegt. Mein Vater hat mir von dem Gesandten Gottes (s.) überliefert, dass diese Welt ein Gefängnis für den Gläubigen und das Paradies für den Ungläubigen ist und dass der Tod eine Verbindungsbrücke für die Gläubigen zum Paradies und den Gärten ist. Genauso ist der Tod für die Ungläubigen und eure Feinde eine Brücke zur Hölle.“[9]
Wir nennen nun einige Qur’an-Verse, die die Existenz der Zwischenwelt bestätigen oder auf eine Welt nach dem Tod hindeuten:
- Sure Al-Mu’minun | 23:99-100: „Wenn dann der Tod zu einem von ihnen kommt, sagt er: ‘Mein Herr, bringt mich zurück, Vielleicht tue ich Gutes durch das, was ich hinterlassen habe.‘ Nein, das ist nur ein Wort, das er (so) dahinsagt. Hinter ihnen ist eine Schranke bis zu dem Tag, da sie auferweckt werden.“ Diese Verse besagen, dass Ungläubige und Tyrannen zum Zeitpunkt ihres Todes um Wiedergutmachung und Ausübung guter Taten für die Rückkehr in diese Welt flehen. Aber im Gegensatz ihrer Erwartung wird ihnen gesagt: Diese Bitte besteht nur aus Wörtern, die sie über die Zunge gleiten lassen und die ohne Wirkung sind und sie nicht zurückkehren lassen. Vor ihnen liegt eine schwere Zwischenwelt und sie sind gezwungen bis zum Tag der Auferstehung da zu bleiben. Die Verse handeln nicht nur von der Existenz in der Zwischenwelt nach dem Diesseits, sondern geben auch die Dauer dieser vom Tode bis zur Auferstehung als Periode an.
- Sure Ya-Sin | 36:26-27: Als der Gläubige aus dem Hause Yasin einen Märtyrertod starb, wurde ihm gesagt: „Es wurde (zu ihm) gesprochen: ‘Geh ins Paradies ein.` Er sagte: ‘O wüsste doch mein Volk davon, dass mein Herr mir vergeben und mich zu denen gestellt hat, die ehrenvoll behandelt werden.`“ Mit diesen Versen kommt man zu dem Schluss, dass solch ein Wunsch ohne Existenz von Zwischenwelt und Paradies sinnlos wäre.
- Sure Ghafir | 40:45-46: „Und die Leute des Pharaos umschloss die böse Pein, das Feuer, dem sie morgens und abends vorgeführt werden. Und am Tag, da die Stunde heraufkommt, (heißt es): ‘Lasst die Leute des Pharaos in die härteste Pein eingehen.`“ Durch diese genauen Verse verstehen wir, das die „böse Pein“ die zwischenweltliche Strafe ist, da in der Fortführung auf die noch folgende Strafe am Tag der Auferstehung verwiesen wird.
- Sure Al-Baqarah | 2:154: „Und sagt nicht von denen, die auf dem Wege Gottes getötet werden, sie seien tot. Sie sind vielmehr lebendig, aber ihr könnt es nicht verstehen.“
- Sure Al-i-Imran | 3:169: „Halte diejenigen, die auf dem Weg Gottes getötet wurden, nicht für tot. Sie sind vielmehr lebendig bei ihrem Herrn, und sie werden versorgt.“ Die voran gegangenen Verse belegen auch die Existenz der Zwischenwelt und das Leben in der Zwischenwelt.
Über die Existenz in der Zwischenwelt gibt es ebenfalls sehr viele Überlieferungen. Einige von ihnen nennen wir als Beispiel: In einer Überlieferung wird von Imam Sadschad (a.) überliefert: „Das Grab ist ein Garten der Gärten des Paradieses oder eine Grube von den Gruben der Hölle“[10]. Aus Sicht des verstorbenen Allameh Madschlessi im Buch Bahar-ul-Anvar ist mit dem Grab in den meisten Überlieferungen die Zwischenwelt gemeint, in der sich die Seele befindet. Yunes Ibn Yaqub hat auch eine Überlieferung von Imam Sadiq (a.), die besagt: „Während ein Mensch verstirbt, kommen die anderen Seelen zu ihm und fragen ihn nach anderen Menschen, ob jene noch leben oder verstorben sind; und wenn er sagt, dass die Person noch lebt, tritt Hoffnung auf, aber wenn er sagt: die Person ist verstorben, sagen die Seelen: er ist abgestürzt (weil wenn er nicht abgestürzt wäre und nicht den göttlichen Strafen ausgesetzt wäre, würde er nun bei uns sein). Dann sagen sie zueinander: lasst ihn in Ruhe damit er sich von den Erschwernissen und Strapazen des Todes erholt[11].
Über die Vervollkommnung in der Zwischenwelt
Es könnte die Frage entstanden sein, ob die Vervollkommnung nur im Diesseits möglich ist oder ob die Möglichkeit dazu auch in der Zwischenwelt gegeben ist? Als Antwort auf diese Frage muss man sagen, dass die Vervollkommnung in der Zwischenwelt aus Sicht des Qur’an und der Überlieferungen feststeht; aus den ersten 12 Verse der Sure Ya-Sin ist zu entnehmen, dass nicht nur die Taten des Menschen, sondern auch die Spuren, die seine Taten im Diesseits hinterlassen haben, in der Zwischenwelt Einfluss auf ihn haben. Es sind Spuren, die zum Absturz des Menschen und zu mehr Qualen in der Zwischenwelt führen können oder zum Aufstieg und größeren Gaben in der Zwischenwelt. Einige Beispiele für die Spuren der Taten, die man hinterlassen kann: das Rechtleiten und die spirituelle Nutzung der anderen durch hinterlassenes Wissen oder das reale Nutzen von gemeinnützigen Gebäuden, die der oder die Verstorbene zu Lebzeiten zum Vorteil der Menschen erbaut hatte; diese Weisungen haben auf die Vervollkommnung des Menschen in der Zwischenwelt eine Wirkung. Ebenso das Fehlleiten der Menschen durch in irreführenden Büchern hinterlassenes Wissen, die jener verfasst hatte. Auch das Korrumpieren und Verderben der Menschen durch Zentren der Verderbnis und Korruption, die er in Lebzeiten erschaffen hatte, gehört dazu; diese haben einen großen Einfluss auf das Entstehen von mehr Strafen und einen größeren Absturz in der Zwischenwelt.
Zu diesem Punkt gibt es viele Überlieferungen und wir werden einige als Beispiel nennen: Der edle Prophet (s.) sagt: Die Gebete der Lebenden gehen wir Berge aus Licht in die Gräber der Toten hinein[12]. Imam Sadiq (a.) sagte: Es gibt sechs Dinge, die dem Gläubigen nach dem Tod helfen: 1. Tugendhafte Nachkommen, die für ihn um Vergebung beten. 2. Das Rezitieren des Qur’an. 3. Ein Brunnen, den er erbaut. 4. Das Wasser, das er für die anderen zum Fließen gebracht hat. 5. Bäume, die er gepflanzt hat. 6. Ein edler Brauch und eine edle Tradition, die er hinterlassen hat[13]. Wie zu sehen ist, deuten diese Überlieferungen an, dass der Mensch nach dem Tod in der Zwischenwelt von einigen seiner Taten Nutzen haben soll.
Die Vervollkommnung in der Zwischenwelt hat auch in der Philosophie viele Debatten ausgelöst. Als erstes muss man erwähnen, dass es in der Zwischenwelt nicht möglich ist, dass der Mensch durch die ausführende Vervollkommnung weiterwächst, indem er Pflichttaten vollzieht und Verbotenes unterlässt, da die Zwischenwelt keine Welt zum Nachgehen von Aufgaben ist. Daher ist es eindeutig, dass wenn von der Vervollkommnung in der Zwischenwelt gesprochen wird, die in den Überlieferungen beschriebene Vervollkommnung der Seele gemeint ist. Das, was vom Hinterlassenen der Seele zugutekommt, sind nicht die Taten in der Zwischenwelt, sondern die Spuren der Taten im Diesseits als deren Ergebnisse. Um diese Vervollkommnung zu erklären, muss man sagen: vom Gesamtbild her muss die Seele von der Seele Gottes aus, die viele Phasen und Etappen zurückgelegt hat, um zu dem weltlichen Körper zu gelangen und um zurückzukehren, nun wieder viele Phasen und Etappen zurücklegen. Diese steigende Route kann man als Vervollkommnung bezeichnen. Das Ereignis des Todes und der Übergang zur Zwischenwelt ist selbst eine der Etappen der Bewegung in Richtung auf Gott und nicht das Ende der Vervollkommnung des Menschen. Die Seele hat noch viele Etappen vor sich.
Der Deutung der Bewegung wird aus der Sicht der Philosophie ein Fehler unterstellt, und zwar, die Bewegung und Vervollkommnung sei ein schrittweises Austreten aus der Materie von Kraft und Wille in die Tat. Es sei nur die Materie, die dieses Talent und die Kraft dazu besitzt. Also ist die Bewegung und die Vervollkommnung gebunden an die Existenz der Materie und da in der Zwischenwelt keine Materie existiert, gibt es da auch keine Bewegung und somit keine Vervollkommnung. Als Antwort muss man sagen: die Wahrheit ist das diese Behauptung von der extrem beschränkten Sichtweise von der Bedeutung der Vervollkommnung rührt, dass nur die begrenzte materielle Welt auf dem Pfad der Vervollkommnung in Betracht gezogen wird. Aber wenn wir mit einem allgemeineren Blick die Vervollkommnung betrachten und dabei bedenken, woher die menschliche Seele stammt und wie weit die Seele hinab gestiegen ist und welchen Weg sie auf der Rücker zu ihrem perfekten Ursprung zurücklegt, verstehen wir das diese Zweifel, das allgemeine Gesetz der Vervollkommnung in der Zwischenwelt oder nach dem Lösen der Seele vom Körper nicht missachten kann.
Die menschliche Seele ist unabhängig von der Dauer, für die sie sich vom Körper getrennt hat, von verschiedenen Schleiern bedeckt und hat die absolute Abstraktion nicht erreicht. So gesehen kann man einerseits sagen: die Seele hat in dieser Situation die Kraft, ihre nächsten Eigenschaften zu vervollkommnen, bis sie zur absoluten Abstraktion wird. Andererseits ist dies, obwohl der Tod das Trennen von einem der größten Hindernisse der Abstraktion der Seele ist (dem Körper), nicht das Ende der Bewegung. Wie Molla Sadra sagt, ist es erst der Anfang der Bewegung der Rückkehr zum Gott[14]. Von daher haben viele Persönlichkeiten die Bewegung der Materie akzeptiert und obwohl sie so eine Bewegung in der Zwischenwelt als unmöglich bezeichnet haben, bestehen sie auf die Vervollkommnung in der Zwischenwelt und sehen diese Vervollkommnung nicht als Bewegung an, sondern als das Entfernen von Schleiern der Schöpfung und Steigerung der Freude der Seele auf die Vervollkommnung.
Imam Khomeini (a.) deutet in seinem Buch „Taliqat bar Sharh-e Fosus Al-Hokm“ auf die Vervollkommnung in der Zwischenwelt hin und sieht den Aufstieg und den Fortschritt in der Zwischen- und Endwelt durch die Offenlegung und das Verstehen der Schleier und Ungerechtigkeiten. Diesen Fortschritt sieht er nicht als eine Bewegung in der materiellen Welt[15]. Auch Allameh Tabatabai betrachtet die Vervollkommnung in der Zwischenwelt als Aufstieg durch die Ränge der Liebe, deren Körner im Jenseits gesät werden[16]. Für ein leichteres Verständnis der Bedeutung der Vervollkommnung in der Zwischenwelt können wir ein erreichbareres Beispiel nennen. Die Seele ist während des Schlafs nicht an den Körper gebunden und erreicht hierdurch eine höhere Wahrnehmung. Dies ist selbst eine Art der Vervollkommnung und der Lauf der Zwischenwelt. Auch in den Offenbarungen der Gnostiker geschieht dies, welches nicht eine Bewegung der materiellen Art ist und die Ungebundenheit an den weltlichen Körper ausführen, die für die Vervollkommnung der Seele sorgt. Im Schlaf oder während einer Offenbarung, welche selbst eine kleinere Form vom Tod sind, fühlt die Seele die Leichtigkeit. Die Trennung vom Körper und die Wahrnehmung und das Verständnis steigern sich. Das ist genau die Vervollkommnung in der Zwischenwelt und diese beiden stehen in keinem Widerspruch. Molla Sadra sagte: „Der Tod ist einerseits das Ende einer Bewegung, aber in einer höheren Welt ist er eine neue Geburt und der Start einer neuen Bewegung.“[17].
Quellen
- Der heilige Qur’an.
- Nahdsch-ul-Balagah, Übersetzung von Mohammad Dashti, Qom, Al-Hadi, 1379 Sonnen Kalendar.
- Sheikh Saduq, Mohammad Ibn Ali, Al-Khisal, Tehran, Maktabat Al-Saduq, 1389 n. dem Mond-Kalender.
- Molla Sadra (Sadra Al-Din Mohammad Ibn Ibrahim Shirazi), Al-Hekmata-al-Mota’aliah, Qom, Mostafavi, 1379 (Mond-Kalender).
- Molla Sadra (Sadra Al-Din Mohammad Ibn Ibrahim Shirazi), Al-Mabda‘ va Al-Ma’ad, Philosophie Verband Iran, Teheran 1354 (Mond-Kalender).
- Molla Sadra (Sadra Al-Din Mohammad Ibn Ibrahim Shirazi), Al-Shavahed Al-Robubiah fi Al-Manahidsch-el-Solukiah, Sadra Weisheits-Stiftung, Teheran 1382 (Mond-Kalender).
- Ibn Sina (Hossein Ibn Abdullah), Al-Shifa; Al-Tabi’at, Qairo, Dar-ul-Kitab Al-Arabi, Kairo 1389 (Mond-Kalender).
- Imam Khomeini, Ruhollah, Ta’liqat Ala Sharh Fosus Al-Hokm, Zentrum für Abstimmung und Publikationen Werke Imam Khomeinis (a.).
- Ibn Manzur, Lisan Al-Arab, Dar-ul-Fikr, Beirut.
- Johari, Ismail Ibn Hammad, Sahah Al-Loqat, Bairut, Dar-ul-Ilm, Beirut 1376 (MondKalender).
- Molla Mohsen Feiz Kashani, Ilm Al-Yaqin, Bidar, Qom 1400 (Mond-Kalender).
- Taftazani, Sa’d-ud-Din, Sharh Al-Maqasid, Sharif Razi, Qom 1409 (Mond-Kalender).
- -Hossein Tehrani, Seyed Mohammad Mohsen, Ma’ad Shenasi, Hekmat 1403 (Mond-Kalender).
- Tabatabai, Seyed Mohammad Mohsen, Al-Mizan, Qom, Jame’e Modaressin, Bi Ta.
- Rokh Shad, Mohammad Hossein, In der Anwesenheit von Allameh Tabatabai, Fragen und Antworten, Al-e-Ali (a.), Qom 1381.
- -Koleini, Mohmmad Ibn Yaqub, Foru‘ Kafi, Teheran, Dar-ul Kitab Al-Islamiah, Bi Ta.
- -Madschlessi, Mohammad Baqir, Bahar-ul Anvar, Tehran, Dar-ul Kitab Al-Islamiah, Bi Ta.
- Mofid, Mohmmad Ibn Mohammad, Ava’el Al-Maqalat, Qom, Al-Mo’tamer Al-Almami La. Lafih Al-Sheikh Al-Mofid, 1413 (Mond-Kalender).
[1] Professor an dem Imam Khomeini Institut für Studium und Forschung in Qom
[2] Ibn Sina, Al-Shifa‘; Al-Tabi’iat, Bd. 1, S. 6.
[3] Molla Sadra, Al-Mabda‘ va Al-Mi’ad. S.315.
[4] Ibn Manzur, Lisan Al-Arab, Bd. 1, S. 375, Ibn Hammad Juhari, Sahah Al-Loqat, Bd. 1, S. 419, Ahmad Ibn Fars, Mo’jam Maqayis Al-Loqat, Bd. 1, S. 333.
[5] Sheikh Mufid, Avael Al-Maqalat, S. 76; Sa’d-ud-Din Taftazani; Sharh Al-Maqasid; Bd. 5, S. 111; Molla Mohsen Feiz Kashani, Ilm Al-Yaqin, Bd. 3, S. 869.
[6] Molla Sadra, Al-Asfar, Bd. 9, S. 27.
[7] Für weitere Recherchen vgl. Sayyid Mohammad Hossein Tehrani, Ma’ad Shenasi, Bd. 2, S. 230.
[8] Nahdsch-ul-Balaqah, Ansprache 188.
[9] Sheikh Saduq, Ma’ani Al-Akhbar, S. 288; Alameh Madschlessi, Bahar-ul-Anvar, Bd. 6, S. 154.
[10] Allameh Madschlessi, Bahar-ul-Anvar, Bd. 6, S.214.
[11] Mohmmad Ibn Yaqub Koleini, Foru‘ Kafi, Bd. 3, S. 244.
[12] Feiz Kashani, Al-Mohadschat-ul-Baiza‘, Bd. 3, S.341.
[13] Sheikh Saduq, Khessal, S.323 und Allameh Madschlessi, Bahar-ul-Anvar, Bd . 6, S. 293.
[14] Molla Sadra, Al-Shavahed Al-Robubiah, S. 355.
[15] Khomeini, Ruhollah, Taliqat bar Sharh-e Fosus Al-Hokm, S. 170.
[16] Rokh Shad, Mohammad Hossein, Dar Mahzar-e Allameh Tabatabie, Porsesha va Pasokhha, S. 160.
[17] Molla Sadra, Al-Shavahed Al-Robubiah, S. 113.