Das Tor zu einem neuen Leben

Sadra Alemzadeh

Der Tod gilt allgemein für alle Lebewesen. So gut wie täglich hören wir vom Tod oder sind manchmal sogar Zeuge dieser Erscheinung. Viele von denen, die das weltliche Leben sehr lieben, versuchen es voll auszukosten, weil sie denken, dass der Tod die absolute Vernichtung bedeutet und es danach kein neues Leben mehr gibt. Daher haben sie Angst vor dem Tod und ergreifen vor allem, was an ihn erinnert, die Flucht. Gott aber ruft diesen Menschen in Vers 78 der Sure 4 (an-Nisa) folgende Tatsache ins Gedächtnis: „Wo auch immer ihr seid, der Tod ereilt euch doch, und wäret ihr in hohen Burgen“. Der Islam lehrt, dass der Tod nicht Vernichtung bedeutet, sondern ganz im Gegenteil das Tor zu einem neuen Leben – zum ewigen Leben ist. Wenn der Mensch stirbt, dann geht nur das Leben in dieser Welt zu Ende. Er betritt eine andere Welt und beginnt ein neues Leben. Es ist ähnlich, wie wenn ein Kind zur Welt kommt. Beim Verlassen des Mutterleibes beginnt es ein neues Leben in einer viel größeren und besseren Umgebung als der vorherigen. Im Mutterleib wurde es über den Mutterkuchen und die Nabelschnur ernährt. Nach der Geburt nimmt der Mensch über den Mund Nahrung auf. In der Zeit, in dem der Mensch noch in der Gebärmutter verbringt, werden alle seine Anlagen wie das Atmungssystem und die Körperglieder, das Gehör und das Sehsystem, der Tast- und Geschmacksinn herangebildet. Aber er kann diese Ausstattung des Körpers vor seiner Geburt in dieser engen Umgebung gar nicht nutzen, sondern erst in dem Leben nach der Geburt.

Im Vergleich zu der jenseitigen Welt lässt sich die diesseitige mit einem Uterus vergleichen, indem die besonderen seelisch-geistigen Eigenschaften des Menschen für die nachfolgende Welt entsprechend herangebildet und die Qualität seines Lebens im Jenseits festgelegt werden. Wenn der Mensch mit seinem ganzen geistigen und seelischen Potential nicht in die jenseitige Welt geführt würde, so wäre es genauso, als wenn alle Kinder nach all den Vorbereitungen auf eine neue Umgebung schließlich den engen Raum im Mutterleib doch nicht verließen und gleich dort zugrunde gingen. Das würde bedeuten, dass seine körperliche Ausstattung – wie die Seh- und Hörorgane, der Tastsinn und sein Geruchssinn, das Gehirn und sein Nervensystem, die Lunge, der Magen usw. umsonst erschaffen worden wären. Es hieße, dass sie ohne irgendwann genutzt zu werden direkt der Vernichtung preisgegeben würden. In Vers 115 der Sure 23 (al-Mu’minun = die Gläubigen) heißt es jedoch: „Glaubt ihr denn, Wir hätten euch (mit all diesen Fähigkeiten und Möglichkeiten) in Sinnlosigkeit erschaffen, und ihr würdet nicht zu Uns zurückgebracht?“

Der Tod ist eine der geheimnisvollsten Wahrheiten des Daseins. Es ist eine persönliche Erfahrung, durch die die Beziehungen zum Diesseits abgebrochen werden. Wer diese Erfahrung gemacht hat, kann sie nicht mehr den anderen mitteilen. Wissenschaftler haben sich aus Sicht ihres jeweiligen Faches mit dem Thema Tod auseinandergesetzt und dazu geäußert. Die Biologen sagen, dass mit dem Tod die Tätigkeit von Hirn, Herz und der fünf Körpersinne abbricht, der Körper abkühlt und austrocknet. Sie sprechen normalerweise nicht davon, dass etwas namens Geist oder Seele während des Todes aus dem Körper weicht. Auch die Vertreter der Humanwissenschaften halten entsprechend ihrem Fach eine Erklärung und Definition für den Tod bereit. Einige Philosophen führen den Tod darauf zurück, dass sich der Geist oder die Seele für immer vom Körper trennt, weil das natürliche Körpersystem gestört oder zerstört ist. Sie ziehen als Vergleich zum Entweichen von Geist oder Seele aus dem Körper beim Tod das Beispiel von jemandem heran, der gezwungen ist, sein Haus zu verlassen, weil es zerstört wurde, und woanders Schutz suchen muss. Doch das Himmelsbuch Qur’an enthüllt eine andere Definition vom Tod.

Der Tod im Qur‘an

Im Heiligen Qur’an wird der Tod mit dem Wort Tawaffa bezeichnet. Das arabische Wort Tawaffa bedeutet „sich etwas als Ganzes nehmen.“ Wenn dieses Wort von Gott für den Tod verwendet wird, so geht es darauf zurück, dass die Seele des Menschen vollständig in Empfang genommen und in die endgültige Welt gebracht wird. In Vers 42 der Sure 39 (az-zumar = die Gruppen) steht: „Allah nimmt die Seelen (der Menschen) zur Zeit ihres Sterbens vollständig (zu Sich).“ Qur’anexegeten betrachten aufgrund dieses Verses die Seele als wichtigsten Teil des Menschen. Diese Seele ist sein eigentliches „Ich“. Es ist das, was seine wahre Persönlichkeit bildet – nicht sein stofflicher Körper! Denn Gott sagt, Er werde, wenn der Mensch stirbt, seine Seele vollständig entgegennehmen, während der Leib des Menschen noch auf dieser Welt bleibt und langsam zerstört wird. Also wird die Seinswahrheit des Menschen, die der Qur’an mit „Nafs“ oder „Ruh“ (Seele) bezeichnet, nicht zerstört. Sie wird aus der materiellen, natürlichen Welt in die andere Welt – die Ewigkeit herübergebracht. Imam Sadiq (a.) sagt, dass der Mensch als Wesen für das Diesseits und das Jenseits geschaffen wurde.

Und fährt fort: „Wenn Gott beide Wesensstufen zusammenfügt, entsteht das Leben des Menschen auf der Erde … und wenn Gott zwischen diesen beiden Stufen trennt, kommt es durch den Tod zu dieser Trennung und das jenseitige Wesen des Menschen kehrt zum Himmel zurück. Das Leben ist also auf der Erde und der Tod im Himmel, weil nämlich beim Tod zwischen dem toten stofflichen Körper und der Seele getrennt und die Seele zum Himmel zurückgebracht wird, während der Körper auf der Erde bleibt. Denn der Körper gehört zur Stufe (und ist von der Beschaffenheit) dieser Welt.“[1] Der Tod ist der letzte Schritt im weltlichen Leben und der erste Schritt in die jenseitige Welt. Der Tod ereignet sich zu seiner festgesetzten Zeit, die nur Gott kennt. In Vers 2 der Sure 6 heißt es dazu: „Er ist es, Der euch aus Lehm erschaffen hat, und dann bestimmte Er (euch allen) eine (Lebens-)Frist. Und eine weitere Frist ist Ihm bekannt!“

Gemäß diesem Qur’anvers gibt es zwei Arten von Lebensfristen. Eine natürliche, die feststeht, genannt Adschal Mahtum (sichere Frist). Dieser Todeszeitpunkt wird weder verzögert noch vorweggenommen. Er ist festgelegt. Davon wird Adschal Mualaq (die Frist in der Schwebe) unterschieden, nämlich eine suspendierte Frist, die zum Beispiel bei einem frühzeitigen Tod aufgrund eines Missgeschickes wie einem Unglück oder einer tödlichen Erkrankung abläuft. Es lässt sich am Beispiel einer Petroleumleuchte veranschaulichen, was gemeint ist. Nehmen wir an, wir zünden eine solche Lampe an, in der eine bestimmte Menge Petroleum ist. Es sind zwei Möglichkeiten für das Erlöschen der Lampe vorstellbar, nämlich: Entweder sie leuchtet so lange, bis das ganze Petroleum verbraucht ist und sie auf natürliche Weise erlischt; oder: Sie erlischt, bevor das Petroleum verbraucht ist, weil jemand sie ausmacht oder durch einen anderen externen Faktor. Noch ein weiteres Beispiel zur Veranschaulichung: Die Früchte an einem Baum fallen alle zu ihrer eigenen vorbestimmten Zeit herunter, nämlich dann, wenn sie völlig reif sind. Ähnlich verhält es sich mit dem sicheren Tod. Aber manchmal werden die Früchte vor der völligen Reife gepflückt oder ein Sturm reißt sie vom Baum ab. Der Adschal Mualaq – der vorzeitige Tod – tritt auf ähnliche Weise ein.

Beide Arten des Todes geschehen, weil Gott es so will. Der Mensch wirkt jedoch durch sein willentliches Verhalten auf die Festlegung der Art des Todes ein. Die meisten Tode ereignen sich frühzeitig nach Ablauf der in Schwebe befindlichen Frist, d.h. eine Reihe von Faktoren verursachen, dass der Tod sich früher ereignet als zu dem Zeitpunkt des natürlichen Todes: Zum Beispiel, wenn jemand nicht richtig auf seine körperliche Gesundheit achtet und sich falsch ernährt, durch Vergiftung oder durch Arterienverkalkung und ähnliches. Möglicherweise hätte er länger gelebt, wenn er besser auf seine Gesundheit geachtet hatte. Aber gemäß den islamischen Überlieferungen gibt es auch andere Faktoren, die das Leben des Menschen verkürzen, wie zum Beispiel die Missachtung der Rechte von Vater und Mutter und schlechte Behandlung der Eltern, der Abbruch der freundlichen und von Hilfeleistung geprägten Beziehung zu der Familie, oder Unterdrückung und Unrecht gegenüber anderen. Imam Sadiq (a) sagt über die Auswirkung von Sünden und den Mangel an Gottesfurcht auf den frühzeitigen Tod: „Die Zahl derer, die wegen ihrer Sünden (früher) sterben, ist größer als die Zahl derer, die sterben, weil ihr Leben zu Ende gegangen ist.“ Imam Sadiq sagt aber auch gleichzeitig: „Und die Zahl derer, die wegen Wohltaten und rechtschaffenen Werken ihr Leben lange dauern lassen, ist größer“[2]. Die Handlungen des Menschen wirken sich jedoch wohlgemerkt auf die suspendierte und nicht auf die sichere natürliche Lebensfrist aus.

Die Angst vor dem Tod

Wir haben bereits das Thema Tod und ewiges Leben des Menschen behandelt und betont, dass der Jenseitsglaube in der Natur des Menschen verankert ist. Aber einigen stellt sich nun die Frage, warum die meisten Menschen Angst vor dem Tod haben, obwohl der Mensch in Wahrheit Ewigkeit besitzt und seine Seele bei der Trennung vom stofflichen Körper nicht vernichtet wird? Die meisten Menschen fürchten sich vor dem Sterben. Der Tod ist für sie wie ein schlimmer Albtraum und bereits der Gedanke an ihn verdirbt ihnen den Lebensgenuss. So flüchten einige deshalb vor dem Tod, weil sie denken, dass er die Vernichtung bedeutet. Um uns den Tod besser veranschaulichen zu können, ist der Vergleich mit dem Sonnenuntergang nützlich. Wenn in einem Teil der Erde die Sonne untergeht, geht sie in einem anderen Teil gerade auf. Der Tod ist ähnlich wie dieser Sonnenaufgang eine Wiedergeburt an einem anderen Ort – nämlich im Jenseits.

Einer der Gründe für die Todesangst ist die Unkenntnis davon, was der Tod überhaupt ist. In einer Überlieferung steht, dass jemand Imam Dschawad (a.) fragte: „Warum mögen einige den Tod nicht?“ Er sagte: „Weil sie den Tod nicht richtig erkannt haben. Wenn sie ihn kennen würden und zu den Freunden Gottes, des Höchsterhabenen, gehörten, würden sie ihn zweifelsohne lieben und wissen, dass das Jenseits für sie besser ist als das Diesseits“. Dann stellte Imam Dschawad (a), um die Wahrheit zu verdeutlichen, selber eine Frage, nämlich folgende: „Warum will ein Kind oder ein Geisteskranker nicht die Arznei zu sich nehmen, die seinen Körper gesundwerden lässt und seine Schmerzen beseitigt?“ Der Mann sagte: „Weil sie nichts von dem Nutzen der Medizin wissen.“

Da sagte der Imam: „Bei dem, der zu Recht Muhammad (s) zum Propheten bestimmt hat! Jemand bereitet sich nicht richtig auf den Tod vor, es sei denn, dass der Tod für ihn etwas Besseres ist als jene Arznei für den Kranken.“ Gib Acht! Wenn die Menschen wüssten, zu welchen Segnungen ihr Tod führen wird, würden sie ihn lieben und zwar noch mehr als der kluge Mensch, der zur Beseitigung von Krankheit und Genesung gerne die Arznei zu sich nimmt.“[3] Die Unkenntnis der Zukunft ist also einer der Gründe für die Angst vor dem Tod. In einer Überlieferung heißt es, dass Imam Hadi (a) einen seiner Helfer am Krankenlager aufsuchte. Er sah diesen aus Angst vor dem Tod weinen. Imam Hadi (a) sagte zu ihm: „Du Diener Gottes! Du fürchtest dich vor dem Tod, weil du nichts über ihn weißt.“ Dann fragte er ihn: „Wenn dein ganzer Körper schmutzig geworden ist und dich diese Verschmutzung bekümmert und zugleich Wunden und Krankheiten an deinem Körper erscheinen und du weißt, dass du von allem Schmutz und allen Leiden befreit wirst, wenn du ein Bad nimmst und dich wäschst, möchtest du dann ein Bad nehmen oder nicht?“ „Ja, natürlich würde ich das gerne tun“, antwortete der Kranke. Da sagte der Imam: „Der Tod ist für den Gläubigen wie dieses Bad und lässt ihn rein werden von den Verunreinigungen. Was an Sünden durch weltliches Ungemach und Krankheiten noch nicht entfernt wurde und zurückgeblieben ist, wird durch den Tod entfernt und gesäubert.“

Die Angst vor dem Tod hat also verschiedene Ursachen und hängt mit den Überzeugungen des Menschen zusammen. Einige betrachten den Tod nicht als absolute Vernichtung und leugnen auch nicht das Leben nach dem Tod. Aber sie fürchten ihn trotzdem. Denn sie hängen sehr am Leben. Wenn jemand Klebstoff auf der Innenseite der Hand, auf der es keine Haare gibt, entfernt, spürt er keinen Schmerz. Aber wenn Klebstoff an einer stark behaarten Körperstelle ist, bereitet es Schmerzen, ihn zu entfernen. Für einen Menschen, der das weltliche Leben sehr liebt, ist es ebenso sehr hart sich von dieser Welt zu trennen. Jemand fragte den Propheten (s), weshalb der Mensch den Tod verabscheue und was er dagegen empfehle. Er erklärte: „Wenn du Eigentum besitzt, so spende es auf dem Wege Gottes für die Zeit nach deinem Tod, denn das Herz des Menschen hängt an seinem Eigentum, und wenn er es rascher für die Zeit nach dem Tod vorausschickt, so möchte er es gerne wieder zurückerlangen. Wenn er es aber auf der Welt lässt, möchte er es nicht verlassen.“

Das Tor in eine andere Welt

Nicht jeder blickt dem Tod ruhig entgegen, auch wenn er für ihn das Tor in eine andere Welt ist. Einige glauben zwar an die Rückkehr zu Gott und die Auferweckung von den Toten, aber sie fürchten sich wegen ihrer hässlichen Taten vor dem Tod. Sie wissen, dass sie nach dem Tod ein Reich betreten, wo sie für alle ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden und daher fürchten sie den Tod und das, was auf sie nach dem Tod wegen ihrer Sünden zukommt. Wir entnehmen den Überlieferungen, dass einer der Anhänger Imam Hasans (gegrüßt sei er), der gerne Späße machte, zu ihm kam. Als der Imam ihn nach seinem Befinden fragte, sagte er: „Ach (Enkel-)Sohn des Propheten Gottes! Ich verbringe das Leben entgegen dem, was Gott möchte und entgegen dem, was Satan möchte und sogar entgegen dem, was ich selber möchte!“ Da lächelte der Imam und fragte: „Wieso?“ Der Mann sagte: „Gott möchte, dass ich Ihm immer gehorche und niemals eine Sünde begehen! Aber ich bin nicht so! Und Satan möchte, dass ich immer ungehorsam gegenüber Gott bin und Gott niemals diene. Auch so bin ich nicht! Ich selber möchte, dass ich niemals sterbe und das geht auch nicht!“ In dem Moment fragte einer der Anwesenden den Imam (a): „O Sohn des Propheten Gottes (s) – warum missfällt uns der Tod? Warum mögen wir ihn nicht?“ Da antwortete Imam Hasan (a): „Ihr habt euer Diesseits prachtvoll eingerichtet und euer Jenseits zerstört. Es ist nur natürlich, dass ihr nicht von einem blühenden an einen ruinierten Ort gebracht werden möchtet“[4] .

Wenn wir im Tod den Beginn eines neuen und ewigen Lebens sehen und ein Tor zu einer großen weiten Welt, werden wir uns nicht mehr vor ihm fürchten, falls wir im Leben rechtschaffen gehandelt haben. Im Gegenteil werden wir diesen Übergang als einen der schönen Dinge in der Schöpfung betrachten. Denn der Tod sprengt den engen Käfig dieser Welt und befreit die Seele des Menschen von allen stofflichen Abhängigkeiten. Die rechtschaffenen und Gott suchenden Menschen, welche im Tod eine Brücke und ein Tor betrachten, durch das sie eine andere Welt betreten, sind innerlich beruhigt und begrüßen diesen Übergang. Imam Ali (der Sohn des Abu Talib) (a.) sagt: „Bei Gott! Der Sohn von Abu Talib liebt den Tod mehr als der Säugling die Milch seiner Mutter.“[5]

Auch hat Imam Husain (a) am Aschura-Tag während des ungleichen Krieges gegen das große Heer des Yazid zu seinen Mitkämpfern gesagt: „Seid geduldig – ihr Söhne edler Männer! Der Tod ist nur eine Brücke, die euch von den Leiden in die weiten Gärten des Paradieses zu den ewigen Segnungen führt. Wen von euch bekümmert es, aus dem Gefängnis in den Palast gebracht zu werden? Der Unterschied zu euren Feinden besteht darin, dass sie wie jemand sind, die von einem Palast ins Gefängnis und zur Strafe überführt wird. Mein Vater (Imam Ali) hat vom Propheten Gottes (s) überliefert, dass die Welt das Gefängnis des Gläubigen und das Paradies des Ungläubigen ist, und der Tod die Brücke für sie (die Gläubigen) zu den Gärten des Paradieses, aber für jene (die Ungläubigen) die Brücke zur Hölle ist.)“ Ein gläubiger Mensch, der auf den unendlichen Segen Gottes hofft, seine religiösen Pflichten erfüllt, sich dessen, was Gott verboten hat, enthält, seine Sünden bereut und reuevoll zu Gott umkehrt, fürchtet sich also nicht vor dem Tod, sondern sehnt sich sogar nach ihm. Denn er darf in der jenseitigen Welt in Gesellschaft des Propheten Gottes (s.) sein und er kommt in den Genuss von Segensgaben, die er sich nicht vorstellen kann.

Wer aufgrund der religiösen Sichtweise den Tod als Übergang in das ewige Leben und als Eröffnung eines neuen Lebens betrachtet und von der unendlichen Vergebung Gottes überzeugt ist, der hofft auch auf die göttliche Huld und seinen Segen und fürchtet den Tod nicht mehr. Wie groß und zahlreich die Sünden eines Menschen auch sein mögen – Gottes Barmherzigkeit ist unendlich. Wer die Spuren seiner Sünden durch Reue und Bitte um Vergebung und Abkehr von den Sünden wäscht, den liebt Gott. Im Qur’an steht in Vers 222 der Sure 2 (al-Baqara): „Wahrlich, Allah liebt diejenigen, die sich (Ihm) reuevoll zuwenden und die sich reinigen.“ Jemand, den Gott liebt, fürchtet sich nicht vor dem Tod, denn durch den Tod wird die Begegnung mit Gott möglich – die große Rückkehr. Der Mensch muss also, um sich vor der Todesfurcht zu befreien, davon überzeugt werden, dass der Tod nur der Übergang in eine viel größere und unvorstellbare Welt ist. Er muss außerdem seine Pflichten als Mensch erfüllen und auf die große Barmherzigkeit Gottes hoffen. Dann wird er den Tod nicht fürchten, sondern ihn sogar lieben.

Auswirkungen des Gedenkens an den Tod

Die Liebe des Menschen zum weltlichen Leben ist eine unbestreitbare Wahrheit. Denn das Leben ist grundsätzlich schön und liebenswert. Alle Lebewesen streben instinktiv nach Erhalt ihres Lebens. Imam Ali (a.) sagt: „Wisset, dass es so gut wie nichts gibt, dessen der Mensch nicht überdrüssig und müde wird, außer dem Leben, denn er findet (anscheinend) im Tod keine Erleichterung. Das Leben ist wie die Weisheit und das Wissen, welche das Herz schlagen lässt und mit dessen Hilfe der Mensch einsieht und das Ohr hört. Das Leben löscht jeden Durst und ist die Stütze für Kraft und Gesundheit.“[6] . In der Tat hängt der Mensch in allen Augenblicken am Leben, ob in freudigen oder kummervollen, in Gesundheit und Krankheit. Denn das Leben ist eine leuchtende Flamme und Grundlage für alle Anstrengungen, Genüsse und Fähigkeiten. Aber es gilt zu beachten, dass das Leben trotz seiner Attraktivität selber nicht das Ziel ist, sondern nur ein Mittel. Das hiesige Leben ist das Mittel, um an ein schönes ewiges Leben in der anderen Welt zu gelangen. Aber viele sind dermaßen mit dem Leben beschäftigt, dass sie denken, das Leben selber sei mit seinen Genüssen das Endziel für sie.

Der bekannte Bozorgmehr, ein Arzt der vorislamischen Sassanidenzeit, sagte: „Das Leben auf der Welt und seine Genüsse sind wie Salzwasser. Je mehr man davon trinkt, desto größer wird der Durst und der Mensch handelt auf der Suche nach diesen Lebensfreuden wie eine Seidenraupe. Je mehr sie den Faden um sich herum spinnt, desto härter wird der Kokon und desto schwieriger wird es für sie, sich aus ihm zu befreien.“ Die Erinnerung an den Tod soll nicht dazu führen, dass man sich die Freuden des Lebens vorenthält, sondern dazu, dass das Leben auf der Erde so gestaltet wird, dass das jenseitige Glück erreicht wird und wir auch in den Genuss der dortigen Freuden kommen. Das Leben im Diesseits ist ein großer Segen, denn das Wohl im Jenseits hängt von den Taten in diesem irdischen Leben ab. Gemäß den Worten des Propheten Gottes ist das Leben der Acker für das Jenseits und kann niemals das Leben im Jenseits ersetzen. Und daher müssen wir im Leben Maß halten. Imam Ali (a.) hat gesagt: „Wer wenig von diesem (Diesseits) nimmt, wird viel von dem bekommen, was ihm Sicherheit gibt! Und wer viel von diesem (Diesseits) nimmt und übertreibt, nimmt viel von dem, was ihm Untergang bringt.“[7]

Ein wahrer Muslim nimmt das vorübergehende Leben auf der Erde ernst, aber sorgt auch in diesem Leben für ein ewiges gutes Leben im Jenseits. Imam Ali (a.) ist sein ganzes Leben über niemals tatenlos gewesen. Nach dem Verlust des Propheten (s.) und bevor er das Regierungsamt übernahm, hat er unermüdlich Ackerbau betrieben und neue Brunnen angelegt. Er sagt: „Es gab eine Zeit, wo ich mir einen Stein auf dem Magen festgebunden habe, um etwas gegen den großen Hunger zu tun, und jetzt spende ich jährlich 40 Tausend Dinare.“ Der Imam hat also gearbeitet und Vermögen erzeugt, aber er hat nicht im Geringsten am Leben gehangen. In seinem Brief an Mohammad Ibn Abu Bakr, in dem er ihn für die Verwaltung Ägyptens bestimmte, sagte er über ein ausgeglichenes Leben und das Maßhalten: „Die Gottesfürchtigen haben heil das schnell vergängliche Diesseits hinter sich gelassen und das Jenseits gewählt. Sie wohnten auf der Welt in der besten Art, wie sie bewohnt werden kann, und haben die besten Speisen zu sich genommen und genossen von dieser Welt, wie sie die in Wohlstand Schwelgenden genossen, und haben ihren Anteil an dem Diesseits nicht vergessen. Dann gingen sie von ihr mit ausreichend Proviant (für ihre Reise) und mit gewinnbringendem Handel. Sie kosteten den Wohlgeschmack der Weltentsagung in dieser Welt, und sie hatten die sichere Gewissheit, dass sie morgen (in der jenseitigen Welt) an alles und jede Freude, die sie sich wünschen, gelangen.“[8]

Im Heiligen Qur’an und in den Worten des Propheten und der Imame aus seinem Hause wird oftmals betont, dass man sein Herz nicht an das vergängliche diesseitige Leben und seine Freuden hängen soll und demgegenüber wird zur Liebe für das jenseitige Leben angespornt. Dieser Punkt wird deshalb oft wiederholt, damit der Mensch nicht vergisst, dass das irdische Leben mit all seinen schönen Dingen außerordentlich kurz ist. Wird dem Menschen dies bewusst, weiß er jeden Augenblick im Leben zu schätzen und wird versuchen, dieses Leben richtig zu gestalten und optimal zu nutzen. Es gibt aber viele Dinge, die den Menschen vergessen lassen, wie kurz das Leben im Diesseits und wie wichtig das Ewige Leben ist. Eines dieser Dinge sind langfristige Wünsche und zu große Erwartungen. Sie gefährden das Glück des Menschen, der Mensch wird nie zufrieden sein, und nach Erfüllung eines Wunsches, hegt er bereits weitere. Das Streben nach uferlosen irdischen Wünsche beansprucht die geistigen und körperlichen Kräfte des Menschen und steigert seine Liebe zum irdischen Leben so sehr, dass keine Energie, Zeit und Motivation mehr dafür bleibt, sich auf das ewige Leben vorzubereiten. Imam Ali (a) sagt in Predigt 42 im Nahdsch-ul-Balagha: „Oh ihr Menschen! Es gibt zwei Dinge, die ich für euch am meisten fürchte: Dass ihr Lust und Laune folgt und übertriebene Hoffnungen hegt. Denn das Befolgen von Lust und Laune verhindert die Wahrheit (zu erkennen), und ausgedehnte Hoffnungen (auf das Diesseits) lassen das Jenseits vergessen.“

Grundsätzlich ist das Wünschen und Hoffen natürlich nichts Schlechtes. Es spielt sogar eine wichtige Rolle, um das Leben in Gang zu halten und Fortschritte in materieller und immaterieller Hinsicht zu erreichen. Jeder Mensch hegt Hoffnungen und Wünsche. Der Prophet (s) hat gesagt: „Hoffen und Wünschen sind Segen für mein Glaubensvolk. Wenn sie nicht wären, würde keine Mutter ihr Kind stillen und kein Gärtner einen Schössling einpflanzen.“[9] Einer der Gründe dafür, dass jedem sein Lebensende verborgen bleibt, mag darin liegen, dass die Hoffnung in seinem Herzen nicht erlischt und er sich weiter anstrengt, das Leben fortzusetzen. In einer Überlieferung aus dem Leben des Propheten Jesus (a.) heißt es: Jesus sah einen alten Mann den Acker umgraben. Da sagte Jesus zu Gott: „O Gott! Nimm ihm das Hoffen und Wünschen.“ Da warf der alte Mann plötzlich die Schaufel beiseite und legte sich auf den Boden, um zu schlafen. Eine Weile danach bat Jesus Gott: „O Gott – gib ihm wieder das Hoffen und Wünschen zurück.“ Da sah er, wie der alte Mann plötzlich wieder aufstand und sich ans Werk machte! Jesus ging zu ihm und fragte ihn, warum er sich so verhalten hat. Der alte Mann sagte: „Beim ersten Mal dachte ich, ich bin alt und schwach und werde bald sterben. Warum soll ich mir so viel Mühe geben? Also habe ich die Schaufel weggeworfen und mich schlafen gelegt. Aber es dauerte nicht lange, da kam mir in den Sinn: Vielleicht lebe ich noch viele Jahre! Es hat schon viele wie mich gegeben, die ein langes Leben hatten. Solange der Mensch lebt, soll er würdig leben und sich anstrengen, etwas für sich und seine Familie zu tun. Da bin ich aufgestanden, habe mir wieder die Schaufel genommen und wieder zu arbeiten begonnen.“[10] Es ist dieses Hoffen und Wünschen, welches den Menschen zur Anstrengung anspornt. Werden diese Hoffnungen und Wünsche allerdings maßlos, haben sie eine zerstörerische Macht. Dann arten sie in Liebe zum Weltlichen aus und lassen den Menschen in Unrecht und Sünde absacken. Beim häufigen Gedenken an den Todes hegt der Mensch nur vernünftige erreichbare Wünsche und nutzt das Leben, um sich auf die Ewigkeit vorzubereiten.

[1] Aus Bihar-ul-Anwar, Bd. 6.

[2] Bihar-ul-Anwar, Bd.5.

[3] Ma’ani al-Achbar-Scheich Saduq.

[4] Bihar-ul-Anwar, Bd. 6.

[5] Predigt 5, Nahdsch-ul-Balagha.

[6] Ansprache 133: Nahdsch-ul-Balagha.

[7] Predigt 111, Nahdsch-ul-Balagha.

[8] Brief 27 Nahdsch-ul-Balagha.

[9] Bihar-ul-Anwar, Bd. 74.

[10] Bihar-ul-Anwar, Bd. 14.