„Und zu seinen Zeichen gehört, dass er euch aus euch selbst Gattinnen erschaffen hat, damit ihr bei ihnen zur Ruhe kommt; und er hat Herzlichkeit und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt.“ (Ar-Rum | 30:21)
وَ مِنْ آيَاتِهِ أَنْ خَلَقَ لَكُم مِّنْ أَنفُسِكُمْ أَزْوَاجاً لِّتَسْكُنُوا إِلَيْهَا وَجَعَلَ بَيْنَكُم مَّوَدَّةً وَ رَحْمَةً إِنَّ فِي ذَلِكَ لَآيَاتٍ لِّقَوْمٍ يَتَفَكَّرُونَ
Der heilige Qur’an sieht die Ehe als eines der göttlichen Zeichen an und erinnert uns daran, dass das Wesen der Ehe zu den Zeichen Gottes gehört und dass wenn darüber genauer nachgedacht wird, zahlreiche Wahrheiten entdeckt werden. Das Wort „Zeichen“ wird im heiligen Koran überwiegend als Wunder bzw. deutlicher Beweis oder Ratschlag o. Ä. in Anwendung gebracht. Ein Zeichen ist etwas, das die Aufmerksamkeit des Menschen auf den Erhabenen Gott lenkt und die Macht, das Wissen, die Weisheit und die Eigenschaften der göttlichen Schönheit und Herrlichkeit in seinen Sinn ruft und ihn aufweckt.
Der Ausdruck „Zeichen“ in Bezug auf die Ehe weist auf ihre wundervolle Zusammensetzung, welche eines der Wunder und Schönheiten Gottes und eine Andeutung seiner Macht und Größe ist, hin. Wenn das Phänomen der Ehe richtig verstanden würde seitens der Gesellschaft, der Familien, Jugendlichen und all derjenigen, die einen Ehepartner benötigen, dem gegenüber angemessen gehandelt werden würde, dann würde sie mit Sicherheit den Menschen auf den rechten Wege geleiten. Des weiteren führt dies zur Reifung des Verstandes, des Herzens und des menschlichen Handelns und zu einem gesunden gesellschaftlichen Wachstum.
Von daher ist es einleuchtend, dass die Ehe aus der Sicht des Qur’ans sowohl spirituelle und moralische als auch mystische und ontologische Dimensionen hat. In ihrem Wesen ist die Ehe ein himmlisches, göttliches und heiliges Gefüge, welches ebenso wie sämtliche Wahrheiten der Religion und dem offenbarten, göttlichen Gesetz mit der Realität eng in Verbindung steht und davon unzertrennlich ist; sie ist also an die Natur des Menschen und seine reellen Bedürfnisse angepasst. Des weiteren komplettiert sie sein gesamtes spirituelles und materielles Wohlergehen.
Der nächste Satz in dem genannten Vers lautet: „Darin sind wahrlich Zeichen für die Leute, die reflektieren“. Es bedeutet, dass das Erkennen der Geheimnisse und der essenziellen Bedeutungen der Ehe sich auf diejenigen beschränkt, welche statt objektiver Betrachtung sich dem Reflektieren und dem tiefgründigen Nachdenken widmen. Die Missachtung und Lieblosigkeit gegenüber der Ehe, welche man heutzutage bei den Menschen und den Gesellschaftsoberhäuptern betrachten kann, entsteht genau aufgrund dieses Aspekts; denn ihre Sichtweise basiert nicht auf genauem, tieferem Nachdenken und sie konnten nicht die tiefsinnige und wesentliche Realität der Familie und die wahre Bedeutung des Lebens und der Segnungen der Ehe für den Einzelnen und für die Gemeinschaft erkennen und ihnen Wichtigkeit beimessen.
Ehe und Familienleben bringen für Mann und Frau zahlreiche Segnungen mit sich. Die Segnungen und positiven Auswirkungen der Familie begrenzen sich aber nicht nur auf den Einzelnen und sein Privatleben. Ein Großteil dieser Segnungen wirkt sich nämlich auf die Gesellschaft aus und zum Teil sind sie unersetzlich und können nur durch die Gründung einer Familie erlangt werden. Der erste Segen der Ehe ist die Erlangung der göttlichen Zufriedenheit, welche in drei Bereiche unterteilt ist.
A) Die Gründung einer Familie ruft die Zufriedenheit Gottes hervor und wird göttlich belohnt:
- Der Gesandte Gottes (s.) sprach: „ Wer dem Erhabenen Gott rein und sauber begegnen möchte, der sollte Ihm mit seinem Ehepartner begegnen.“[1]
- Über Imam Ali (a.) wird überliefert: „Es gab niemanden unter den Gefährten des Propheten (s.), der heiratete, zu dem der Prophet nicht sagte: „Er hat seine Religion vervollständigt.““[2]
B) Die Vermittlung einer Ehe und die Unterstützung anderer bei der Gründung einer Familie wird belohnt:
- Der heilige Qur’an spricht: „Und verheiratet diejenigen unter euch, die ledig sind, und die Guten unter euren Sklaven, männliche wie weibliche.“ (An-Nur | 24:32)
- Über Imam As-Sadiq (a.): „Wer einem Ledigen zum heiraten verhilft, dessen wird sich der Erhabene Gott am Tag der Auferstehung erbarmen.“ [3]
C) Ein guter Umgang mit dem Ehepartner wird belohnt:
- Der Gesandte Gottes (s.) sprach: „Der beste unter euch ist derjenige, der am besten zu seinem Ehepartner und zu seinen Kindern ist; und ich bin von euch am besten zu meiner Frau und zu meinen Kindern.“[4]
- Imam Reza (a.) überliefert als Wort des Propheten (s.): „Gott der Erhabene ist dem weiblichen Geschlecht gegenüber sanfter und gütiger als dem männlichen.“ Daraufhin sagte er (s.): „Es gibt keinen Mann, der seine Frau zufriedenstellt, aber von Gott dem Erhabenen am Tag der Auferstehung nicht zufriedengestellt wird.“[5]
Seelischer Frieden und Gelassenheit
Seelischer Frieden und innere Ruhe gelten als primäre und notwendige Bedürfnisse des Menschen. Auf der anderen Seite bringen Kummer und Störungen des Geistes den Menschen aus dem Gleichgewicht und führen zu innerer Besorgnis in Bezug auf sich selbst und zu äußerlicher Empörung und Unruhe gegenüber den Mitmenschen.
Es ist Tatsache, dass die Ehe für Ruhe und Gelassenheit sorgt und sowohl psychischen als auch körperlichen Krankheiten vorbeugt. Erfahrungsgemäß zeigen verheiratete Menschen ein entspanntes Verhalten, verfügen über konstante Vorgehensweisen und sind eher standfest, während sich bei ledigen Personen Aufregung, Nervenzusammenbrüche, unausgeglichenes und unvorhersehbares Verhalten öfter finden lassen. Außerdem ist ihre Empfindlichkeit in verschiedenen Angelegenheiten meistens höher.
Ein Leben als Lediger verwandelt besonders in der heutigen, stressigen und hektischen Welt den Menschen in einen Renner, der pausenlos einsam und ohne Ziel am rennen ist. Je mehr er versucht schneller zu laufen, desto weiter entfernt er sich von dem Zweck und dem Sinn der Erschaffung. Ruhe und Gelassenheit haben eine umfassende Bedeutung und treffen auf etliche Bereiche, von denen die Ruhe und Gelassenheit des Körpers nur die niedrigste Stufe bildet, zu. Als Stufen der Ruhe und Gelassenheit kann man folgende benennen:
- Geistige Ruhe für die Festigung des Glaubens; denn der Geist ist der Ort des Glaubens.
- Die Ruhe des Gewissens, um in Ruhe nachdenken und überlegen zu können.
- Seelische Ruhe, um sich vorzügliche moralische Werte anzueignen und um der Bildung niedriger moralischer Werte vorbeugen und diese entfernen zu können; denn es ist die Seele, welche die Moral des Menschen beeinflusst.
- Eine Ruhe im sozialen Umfeld, um wohltätig handeln zu können.
- Die physische Ruhe, damit man sich körperlich ausruhen und erholen kann, um neue Kraft für die Fortführung des Lebens zu schöpfen.
Die Ehe und die Gründung einer Familie ist für einen umfassenden, seelischen Frieden für Mann und Frau notwendig. Mann und Frau benötigen beide das jeweils andere Geschlecht und es ist natürlich veranlagt, dass der Mensch nach seiner zweiten Hälfte und dem ihm Fehlenden strebt. Allameh Tabatabai schreibt: „Der Anreiz von Mann und Frau in ihrem Verlangen zueinander ist eben dieses Defizit und die gegenseitige Bedürftigkeit und Armut, welche jeden einzelnen von ihnen in Richtung des anderen anzieht.
Wenn sie zueinander finden, so gelangen sie auch zum seelischen Frieden. Denn alles Fehlbare strebt die Vollkommenheit an und alles Bedürftige bedarf der Beseitigung des eigenen Mangels und der eignen Armut. Das ist, was Mann und Frau in Form einer Gabe der Veranlagung eingegeben wurde. Der Mann benötigt die Frau und die Frau benötigt den Mann und beide bedürfen einer Familie.“
Demzufolge verhilft die Ehe dem angespannten, ruhelosen Geist eines Jugendlichen zur Ruhe und Entspannung. Sie ist ein wichtiger Faktor für den seelischen Frieden von Mann und Frau. Einerseits sorgt ein Ehepartner für Ruhe und Wärme im Leben und verhilft zur Reife und Wachstum. Andererseits ist eine gesunde Familie eine Familie, in der ihre Mitglieder zur Entspannung und Gelassenheit finden.
Der andere Aspekt ist jener, das Gott der Erhabene im heiligen Qur’an sagt: „Er erschuf euch aus euch selbst Gattinnen, damit ihr bei ihnen zur Ruhe findet.“ (Ar-Rum | 30:21). Und an einer anderen Stelle liest man: „Er erschuf euch aus einem einzigen Wesen und machte aus ihm seine Gattin, damit er bei ihr zur Ruhe findet […].“ (Al-A`raf | 7:189). Und in einem anderen Vers wird gesagt: „Er erschuf euch aus einem Wesen und erschuf aus ihm seine Gattin“ (an-Nisa | 4:1). Auch an folgender Stelle steht: „Er erschuf euch aus einem einzigen Wesen, dann machte Er aus ihm seine Gattin.“ (Az-Zumar | 39:6).
Die zwei Formulierungen „damit ihr bei ihnen zur Ruhe findet“ und „damit er bei ihr zur Ruhe findet“ in den genannten Versen deuten präzise auf eines der göttlichen Zeichen und auf eines der Geheimnisse der Existenz im System der Schöpfung hin; Und zwar auf die fundamentale Rolle der Frau bei der Ausstrahlung von Ruhe und Gelassenheit. Dies steht genau im Gegensatz zu dem was in der Geschichte der westlichen Philosophie von einigen, weit von der Lehre des Qur’ans denkenden Personen behauptet wird, welche die Frau als die Manifestation der Zwietracht und des Disputs bezeichneten.
Wenn man diese Verse miteinander vergleicht, dann wird der Grund für die Äußerung von Ayatollah Jawadi Amoli verständlich, der nämlich behauptet: „Obwohl der heilige Qur’an die Wahrheit von Mann und Frau als einen göttlichen Schatz ansieht, so weist er, wenn es um die Erzeugung von Ruhe und Entspannung geht, der Frau eine essenzielle Rolle zu, aber stellt den Mann als jemanden vor, der von der Liebe der Frau angezogen wird.“
Aus der Sicht des Qur’ans ist es die Frau, die in Bezug auf die Ruhe im Haus die Zügel in den Händen hält. Ihre essenzielle Rolle und wichtigste Aufgabe und Verpflichtung in der Familie ist folgende: Sie ist Dreh- und Angelpunkt in Hinsicht auf die Schaffung von Gelassenheit und Ruhe im Haus. Und diese Rolle bringt die eigentliche Stellung der Frau in der Familie und in der Gesellschaft aus der Perspektive des Qur’ans zum Vorschein. Wenn also die Frau ihre wahre Rolle im Haus richtig kennen würde, wirkte dies tief auf die Glückseligkeit der Familie und der Gemeinschaft ein. Diese Bedeutung steckt hinter der gründlich durchdachten Rede Imam Khomeinis (Möge Gott sich seiner erbarmen), als er sagte: „Vom Schoße der Frau steigt der Mann in die geistige Höhe.“
Es ist also selbstverständlich, dass wenn der Qur’an „Und Gott hat euch aus euren Häusern eine Ruhestätte gemacht […].“ (An-Nahl | 16:80) sagt, die Rede von einem Haus, in dem man gemeinsam mit dem Ehepartner wohnt, ist. Nur eine Wohnstätte mit einem Ehepartner erzeugt Ruhe und Frieden und ohne einen Ehepartner ist sie unvollständig.
Ein weiterer Aspekt ist: Ist denn der seelische Frieden das Endziel eines Menschen?
Obwohl Ruhe und seelischer Frieden von Natur aus vom Menschen angestrebt werden und alle auf der Suche danach sind, so sind sie gleichzeitig eine Vorbereitung für etwas viel Bedeutsameres. In Wirklichkeit haben sie bei der Beschaffung der Glückseligkeit des Menschen eine entscheidende Rolle.
Ohne vollkommene seelische Gelassenheit kann der richtige Weg nicht beschritten werden und Glückseligkeit nicht erlangt werden; denn wie schon darauf hingewiesen wurde, sind die Festigung des Glaubens, die Aneignung von Tugendhaftigkeit, die Überwindung von niederträchtigen moralischen Werten und die Vorbeugung davor sowie das wohltätige Handeln und die körperliche Erholung nötig, um neue Energie für die Fortführung des Lebens mittels seelischer Ausgeglichenheit und Ruhe zu bekommen. Und die wichtigste Rolle bei ihrem Erwerb in vollem Umfang spielt die Ehe. Ein Blick in die Überlieferungen der unfehlbaren und reinen Ahl-ul-Bayt klärt diese Bedeutung auf:
- Der ehrenvolle Prophet des Islams (s.) sagt: „Wer heiratet, findet die Hälfte seiner Glückseligkeit wieder.“
- Auch sagte Er (s.): „Immer wenn ein junger Mann früh heiratet, schreit Satan: „Wehe ihm, wehe ihm, er hat zwei Drittel seiner Religion vor mir bewahrt.“ So soll man doch im restlichen Drittel Gott fürchten.“
- Auch sagte Er (s.): „Keine Bindung im Islam ist Gott dem Erhabenen lieber, als die Eheschließung.“
- Auch sagte Er (s.): „Moses wurde offenbart: „Ich (Gott) habe dieser Person das Beste im Diesseits und des Jenseits gegeben; nämlich eine rechtschaffene Frau.“
- Imam As-Sadiq (a.) sagt: „Drei Dinge sorgen für einen Gläubigen für Erleichterung; […] und eine rechtschaffene Frau, welche ihm in seinen diesseitigen und jenseitigen Angelegenheiten behilflich ist.“
Aus dem bisher Gesagten wird verständlich, warum Scheidung und das Auseinanderreißen der Familie zur Erschütterung des göttlichen Throns führen. Imam As-Sadiq (a.) sagt: „Heiratet und lasst euch nicht scheiden, denn wahrlich, durch die Trennung wird der Thron erschüttert.“
Der 4. Aspekt: Die Verwendung des Wortes „bei“ in „damit ihr bei ihnen zur Ruhe findet“ und „damit er bei ihr zur Ruhe findet“ deutet auf eine positive und lebhafte Ruhe hin, welche man dank der Ehe und Familie erlangt. Eine positive Ruhe steht im Gegensatz zu einer negativen, bewegungs- und freudlosen Ruhe, welche durch den Konsum von Drogen und Rauschmitteln in Erscheinung tritt. So ruft eine gesunde Familie die göttliche Ruhe herbei und macht junge Menschen von der Suche nach der temporären und ruinierenden Ruhe unabhängig.
In diesem Sinne müssen sich die Ehepartner im Haus so verhalten, dass dieser Frieden gesichert ist. Sie dürfen sich nicht gegenseitig durch irgendwelche Vorwände diesen Frieden, der eine Schenkung Gottes ist und eine wichtige Philosophie für die Gründung einer Familie darstellt, nehmen; andernfalls würde sich instinktiv der Ehepartner auf der Suche nach etwas anderem machen, um zu der seiner Vorstellung nach verlangten Ruhe zu gelangen. Insofern muss das Ehepaar die Faktoren, welche den Frieden im Haus stören, kennen und jeder einzelne von ihnen muss sich darum bemühen, diese Faktoren und Verhaltensweisen, aus sich selbst auszusortieren, um die Mittel für die seelische Zufriedenheit des Ehepartners zu verschaffen. Einige dieser Faktoren sind:
- Zu viele Ansprüche und Erwartungen.
- Den eigenen Ehepartner mit anderen vergleichen.
- Faulheit und Lustlosigkeit.
- Unzureichende Zeit für den Ehepartner und für die Familie.
- Zu hohe Beschäftigung durch die Arbeit.
- Kränkende Konkurrenz um Materielles.
Es ist Tatsache, dass „lebendig sein“ sich von „leben“ unterscheidet, ebenso wie sich einfaches Schreiben von Kalligraphie unterscheidet. Zu leben ist eine Kunst und die höchste Stufe dieser Kunst findet im Familienleben Bedeutung. Und diese Kunst muss genauso wie jede andere Kunst erlernt werden. Der heilige Koran und die Ahl-ul-Bayt (a.) sind hierbei die besten sowohl theoretischen als auch praktischen Lehrer der Kunst eines „gesunden Lebens“.
Wie schon zuvor genannt wurde, spricht der Erhabene Gott im 21. Vers der Sure „ar-Rum“: „Und zu seinen Zeichen gehört, dass er euch aus euch selbst Gattinnen erschaffen hat, damit ihr bei ihnen zur Ruhe findet; und er hat Herzlichkeit und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt. Darin sind wahrlich Zeichen für die Leute, die reflektieren.“ Ein weiterer Segen des Familienlebens ist „Gnade, Herzlichkeit und „Barmherzigkeit“.
Der Unterschied zwischen „Herzlichkeit“ und „Barmherzigkeit“
Allamah Tabatabai sagt: „„Herzlichkeit“ ist eine Art von Liebe, deren Auswirkungen im Handeln und Verhalten sichtbar sind[6]. „Barmherzigkeit“ ist eine seelische Einwirkung, welche bei der Betrachtung eines Mangels bei einer Person, der es an Vollkommenheit in einem bestimmten Bereich fehlt, und der Entfernung dieses Mangels bedarf, im Herzen entsteht und den Besitzer dieses Herzens dazu verleitet, den Betroffenen aus dieser Bedürftigkeit zu retten und seinen Mangel zu beheben.“
Die kleine Gemeinschaft der Familie ist eine der Orte, in der die Barmherzigkeit deutlich zum Ausdruck kommt. Denn Ehefrau und Ehemann benötigen gegenseitig Liebe und Herzlichkeit füreinander und zusammen erfahren sie ein Gefühl der Barmherzigkeit für ihre Kinder, denn sie beobachten Schwäche und Unfähigkeit an ihnen, und sehen, dass ihr kleines Kind die notwendigen Bedürfnisse für sein Leben nicht selbst sicherstellen kann. So verleitet die Barmherzigkeit und Herzlichkeit sie dazu, sich um das Behüten, die Ernährung, Bekleidung und Erziehung des Kindes zu bemühen. Würde es die Barmherzigkeit nicht geben, dann könnte kein Nachwuchs überleben und die Menschheit könnte keinesfalls weiter existieren.
Des weiteren steht im Tafsiere-Kashaf[7] geschrieben: „Herzlichkeit“ ist eine Umschreibung für die besondere Verbindung zwischen Ehemann und Ehefrau.“ Und in weiteren Qur’anexegesen werden drei Unterschiede zwischen Herzlichkeit und Barmherzigkeit genannt:
- Herzlichkeit motiviert die Verbundenheit zu Beginn der Ehe. Doch zum Ende hin, wenn einer der beiden Ehepartner schwach wird und nicht mehr dem anderen dienstbar sein kann, nimmt die Barmherzigkeit den Platz der Herzlichkeit ein.
- Herzlichkeit bezieht sich auf die Erwachsenen, welche sich gegenseitig dienen können. Die kleinen Kinder wachsen jedoch unter dem Gewand der Barmherzigkeit auf.
- Herzlichkeit empfinden meistens zwei Menschen für einander. Barmherzigkeit jedoch geht nur von einer Seite aus und erfolgt ohne Erwartung irgendwelcher Rückerstattungen vom Gegenüber, denn für den Fortbestand einer Gemeinschaft bedarf man manchmal gegenseitiger Dienstleistungen, deren Ursprung die Herzlichkeit ist. Zu manchen Zeiten sind aber auch Dienstleistungen ohne irgendwelche Gegenleistungen vonnöten, für die wiederum Barmherzigkeit und Selbstlosigkeit notwendig sind.
Unreine (unwahre) und reine Liebe
Unter Betrachtung der beiden allgemeinen Wege von Gut und Böse hat auch die Liebe zwei Bedeutungen. Es gibt die unreine (verschmutzte) und die reine Liebe. Mit Sicherheit kann behauptet werden, dass es die wahre, reine Liebe ist, die der Welt in der heutigen Zeit fehlt. Und die Gründung einer gesunden Familie gehört zu den besten Quellen, damit diese Liebe entstehen und bewahrt werden kann.
Einige, allgemeine Beispiele im Familienleben, die mit der reinen Liebe in Verbindung stehen könnten, sind:
- Die Liebe von Ehemann und Ehefrau zueinander.
- Die Liebe zum Kind.
- Die Liebe für das, was Gott ihnen an Versorgung und Bestimmung werden ließ.
- Die Liebe zur Familie und zu Verwandten, besonders zu den Großeltern.
- Liebe zu den Mitmenschen und Nachbarn.
- Liebe zum Erhabenen Gott als Erschaffer und Geber aller Arten der Liebe und allem Guten.
- Liebe zum Propheten und zu den Freunden Gottes als Vorbilder für ein gesundes Leben.
Liebe hat positive und konstruktive Wirkungen auf das Leben
Dazu gehört:
- Sie bringt Freude und Genuss.
- Sie beseitigt Müdigkeit und Erschöpfung.
- Sie beseitigt wiederholt auftretende Sorgen und beschenkt den Menschen mit neuer Gnade und mit Segnungen.
- Sie stärkt die Kraft und Energie.
- Sie deckt die Lücken und gleicht nicht umsetzbare Wünsche im Leben aus.
- Sie beugt Heuchelei vor und sorgt für Aufrichtigkeit in Rede und Umgang.
Ein anderer Segen der Familie ist „Tugendhaftigkeit und Keuschheit“. Gott der Erhabene sagt im 187. Vers der Sure al-Baqara (2): „Sie sind (wie) Kleidung für euch, und ihr seid (wie) Kleidung für sie“. In diesem Vers werden Mann und Frau metaphorisch mit „Kleidung füreinander“ verglichen. Es können einige Folgerungen aus diesem Vergleich gezogen werden: Ehemann und Ehefrau sorgen gegenseitig für einen Schutz ihrer Gefühle, genauso wie die Kleidung den Körper vor Wärme, Kälte, Schlägen und sonstigen Verletzungen schützt.
Ehemann und Ehefrau verschaffen sich gegenseitig Ehre und Zierde, genauso wie die Kleidung den Menschen schmückt und ihn schöner macht. Auf die gleiche Weise wie Kleidung den Menschen vor Verschmutzungen bewahrt und intime Körperbereiche bedeckt, schützt die Ehe davor, dass die tierischen Begierden des Menschen über ihre Grenzen hinaustreten. Jeder einzelne des Ehepaares beschützt seinen Ehepartner, indem er seine sinnlichen Begierden befriedigt, vor Verunreinigungen durch diese und trägt zu seiner Keuschheit bei. Im weiteren Verlauf werden wir auf den genannten Aspekt der Keuschheit näher eingehen.
Die Bedeutung von Tugendhaftigkeit
Tugendhaftigkeit bedeutet sich gegenüber unzulässigen und inakzeptablen Taten beherrschen zu können. Es ist sozusagen die Keuschheit und Selbstbeherrschung gegenüber sinnlichen Begierden und Verlockungen. Der ehrwürdige Qur’an spricht denjenigen, die sich selbst beherrschen, eine große Belohnung zu: „Was aber denjenigen betrifft, der den Stand vor seinem Herren gefürchtet hat, und seine Seele vor niedriger Lust bewahrt hat, so wird ganz bestimmt das Paradies seine Herberge sein.“
Neben dem Aspekt der Selbstbeherrschung hat die Tugendhaftigkeit noch andere Bedeutungen und Beispiele, von denen wir auf die wichtigsten eingehen:
- Tugendhaftigkeit im Verdienen des Lebensunterhalts (materielle Tugendhaftigkeit): Genauso wie der heilige Qur’an uns mitteilt: „Und wer reich ist, der muss im Besitz von materieller Tugendhaftigkeit sein.“(An-Nisa | 4:6)
- Tugendhaftigkeit und Reinheit in der Rede: Ein Muslim muss beim Reden tugendhaft sein und seine Zunge vor Unanständigem und Schimpf bewahren und nichts außer Schönem sprechen. Der heilige Qur’an sagt: „Sie werden zur reinen Rede recht geleitet; und zum Wege des lobenswerten Gott werden sie recht geleitet.“ (al-Haddsch | 22:24). Und an einer anderen Stelle: „Zum ihm steigt das reine Wort auf und die rechtschaffene Tat verhilft zum Aufstieg“ (Al-Mala`ika Fatir | 35:10) Der Gesandte Gottes (s.) spricht: „Ein Gläubiger spottet und flucht nicht noch begeht er schlechte Taten und spricht schlechte Worte.“
- Tugendhaftigkeit bzw. Zurückhaltung wenn man die Hilfe anderer braucht:
Denn Gott der Erhabene bezeichnet diejenigen Bedürftigen, die aufgrund ihrer Selbstachtung von anderen keine Hilfe einfordern, als „keusch“ und lobt sie: „Der Unwissende hält sie aufgrund ihrer starken Zurückhaltung im Erbitten von anderen für reich. Du erkennst sie an ihrem Verhalten: Sie beharren darauf, nichts von den Leuten zu erbitten.“ Und der Gesandte Gottes (s.) sprach: „Eine gehobene Hand (jemand, der anderen hilft) ist besser als eine niedrige Hand (jemand, der andere um Hilfe bittet), und helfe zunächst demjenigen, dessen Unterhalt in deiner Verantwortung liegt, und die beste Spende ist jene, die aus Dank (für die Gaben Gottes) erfolgt. Jemand, der Keuschheit ersucht, den wird Gott keusch bewahren. Und jemand, der sich (von anderen Menschen) unabhängig sieht, den wird Gott unabhängig machen.
Der Wert und die Stellung von Tugendhaftigkeit und Selbstbeherrschung
Der gütige Prophet des Islams Mohammad – der Friede und Segen sei auf ihn und auf seinen Nachkommen – spornte die jungen Menschen zum Heiraten an, um Keuschheit und Selbstbeherrschung aufrechtzuerhalten. Denjenigen, die nicht in der Lage waren zu heiraten, riet Er (s.) zum Fasten und zum Besuch des Gottesdienstes, damit sie ihre Augen vor verbotenen Blicken bewahren können: „Oh ihr Jugendlichen: Jeder einzelne von euch, der in der Lage ist zu heiraten, soll dies tun, weil es für die Bewahrung des Auges und die anderen Körperglieder besser ist. Jemand, der nicht die Möglichkeit dazu hat, sollte fasten, denn das Fasten ist eine Art Zügel für die Begierden.“ Der Erhabene Gott hat die Menschen zur Bereinigung ihrer Seele und zur Selbstkontrolle bis zur Heirat aufgefordert und spricht: „Diejenigen, (die keine Möglichkeit) zum Heiraten finden, sollen keusch bleiben, bis Allah sie durch seine Huld reich macht.“ (An-Nur | 24:33).
Aus diesem Grund wurden areligiöse und unreine Blicke verboten: „Sag den gläubigen Männern, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Scham hüten.“ (An-Nur | 24:30). Das ist an die gläubigen Männer gerichtet. Was die gläubigen Frauen angeht: „Und sag zu den gläubigen Frauen, sie sollen ihre Blicke senken und ihre Scham hüten […]“ (An-Nur | 24:31). In den Überlieferungen kommt vor: „Ein verbotener Blick ist wie ein Giftpfeil der Pfeile des Teufels. Jemandem, der aufgrund der Ehrfurcht vor mir solche Blicke meidet, werde ich anstelle (dieses Pfeils) Glauben (Iman) zuteil werden lassen, dessen Süße er in seinem eigenen Herzen wiederfinden wird.“ In einer anderen Überlieferung über den Propheten Gottes (s.) fragt man, was bei einem „plötzlichen Blickkontakt“, also einem Blick, der unbeabsichtigt stattfindet, zu tun sei. Er antwortete: „Dann ziehe deinen Blick zurück.“
Über den Propheten Gottes (s.) wird überliefert: „Es gibt sieben Gruppen von Menschen, denen Gott an einem Tag unter seinen Schatten, an dem es außer seinem Schatten keinen anderen Schatten geben wird, Platz gewähren wird.
- Ein gerechter Leiter und Herrscher.
- Ein junger Mensch, der seine Jugend in der Anbetung Gottes des Allmächtigen und Erhabenen verbrachte.
- Ein Mensch, dessen Herz mit der Moschee verbunden ist.
- Zwei Personen, die um Gottes willen miteinander Freundschaft geschlossen und um Seinetwillen sich voneinander getrennt haben.
- Ein Mann, der von einer schönen Frau zur Sünde eingeladen wurde und dennoch sagte: „Ich fürchte Gott.“
- Ein Mensch, der im Geheimen spendet.
- Ein Mensch, der Gott in Einsamkeit gedenkt und dabei Tränen vergießt.
Die Rolle und die Pflichten von Ehemann und Ehefrau bei der Tugendhaftigkeit
Ehepartner spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, sich gegenseitig den Geist in Tugendhaftigkeit und Selbstbeherrschung zu stärken. Diesem Aspekt muss man stets sehr viel Beachtung schenken. Sich duftend zu parfümieren, sich für den Ehepartner, sauber halten, Schmuck, sich im Haus hübsch zu kleiden und eine warme Atmosphäre zu schaffen usw. sind ein Teil der praktischen Aufgaben in diesem Bereich, auf den in den Überlieferungen großer Wert gelegt wurde. Junge Menschen müssen schon vor der Ehe tugendhaft leben, denn vor der Heirat tugendhaft zu sein, wird ein warmes Leben nach der Heirat zu Folge haben.
Jemand, der schon in seiner Zeit als Unverheirateter in Tugendhaftigkeit und Keuschheit gelebt hat, tritt nach der Ehe in eine neue Welt ein, welche er wunderschön gestalten kann. Außerdem setzt Gott der Erhabene Barmherzigkeit, Liebe und Zuneigung zwischen einer tugendhaften Frau und einen tugendhaften Mann, was der Grund für ihre Glücksseligkeit wird. Die Erfahrung zeigt, dass diejenigen, die vor der Verehelichung tugend- und schamlos waren, nach dieser zahlreiche Probleme mit ihren Ehepartnern haben. Außerdem wird folgendes über den Gesandten Gottes (s.) überliefert: „Bewahrt gegenüber den Frauen eure Keuschheit, damit auch eure Frauen keusch werden.“
Ein weiterer wichtiger Punkt, den junge Menschen, speziell junge Familien, beachten müssen, ist, dass die verschiedenen Beispiele der Tugendhaftigkeit allesamt aus einem Geist entspringen, in der Weise, dass Stärke oder Schwäche in einem dieser Bereiche Auswirkungen auf einen anderen Bereich hat. Von daher ruft die Tugendhaftigkeit, welche aus der Ehe resultiert, auch in anderen Bereichen die Tugendhaftigkeit herbei.
Und als letzte Anmerkung muss gesagt werden, dass heutzutage die Tugendhaftigkeit und Reinheit des Menschen gefährdet ist. Und das beste Heilmittel für dieses Problem ist die Ehe.
Wir möchten diese Rede mit einem Bittgebet von dem Gesandten Gottes (s.) abschließen, der in seinem Gebet den Erhabenen Gott um Folgendes bittet: „Mein Herr, ich bitte dich um Rechtleitung, Frömmigkeit, Tugendhaftigkeit und Unabhängigkeit.“
Dr. Hamidreza Torabi
[1] Mustatrakol Wasayel, S. 150, H.16332.
[2] Mustatrakol Wasayel, Bd. 14, S. 150 H. 16337.
[3] Wasayel. Bd. 20, S. 45.
[4] Ketabol Nekah. Bd. 7.
[5] Wasayelo Shia, Ketabol Nekah. Bd. 7.
[6] Gemeint ist, dass es eine Liebe gibt, die lediglich ein inneres Empfinden ist. Herzlichkeit jedoch ist eine Art von Liebe, die durch die Taten und das Verhalten des Liebenden nach außen hin sichtbar wird.
[7] Eine Qur‘anexegese.