Fragen und Antworten über terroristischen Gruppierungen

Die ganze Welt ist erschüttert und schockiert über die Brutalität und Kaltblütigkeit der Terroristen im Irak und in Syrien. Welche Gründe haben aus der Sicht der Ahl-ul-Beit bewirkt, dass sogenannte Muslime sich von Menschlichkeit und menschlichen Werten im Islam so weit entfernt haben?

Es gibt eine bekannte Hadis, also eine Überlieferung unseres Propheten, die von allen Muslimen anerkannt wird und in der unser Prophet sagt: „Ich hinterlasse euch zwei große Schätze, den Qur’an und meine Familie (Ahl-ul – Beit) und beide werden sich niemals trennen bis zum Jüngsten Tag.“ (Hadise Saqualein). Wer also einen von diesen beiden Schätzen in seinem Leben nicht ernst genug nimmt, ist praktisch vom wahren Islam weit entfernt. Es kann also jemand die bekannten formalen Vorschriften im Koran wie Fasten, Gebet, Zakat und andere genau einhalten  aber wenn er der Ahlul Beit den gebührenden Platz bei der Interpretation des Korans und der praktischen Auslegung des Islams nicht einräumt, dann fehlt ihm, so wie der Prophet verkündet hat, der Zugang zum wahren Islam. Das entspricht auch der bekannten Hadis, in der Imam Ali (a.) als Tor zum Wissen des Propheten bezeichnet wird. Auf der anderen Seite gibt es allerdings auch Gruppierungen, die zwar auf die Liebe zur Familie des Propheten, also der Ahl-ul-Beit, Wert legen, aber gleichzeitig die Vorschriften des Qur’ans nicht wirklich ernst nehmen. Auch sie sind von der wahren Botschaft der Ahl-ul-Beit weit entfernt. Außerdem ist, wie aus manchen Koranajen hervorgeht, Gehorsam ein Zeichen für wahre Liebe. In diesem Zusammenhang ist noch ein Punkt erwähnenswert und zwar, wenn der Rang und die Stellung der Ahl-ul-beit ignoriert wird, dann ist die Folge davon, dass jeder Gelehrte seine eigene Auslegung des Qur’ans im Spezifischen und seine Meinung über den Islam im Allgemeinen bevorzugt. Das heißt, dass der Qur’an, der eigentlich die wichtigste gemeinsame Grundlage der Muslime sein sollte, zu einem Ausgangspunkt für eine Spaltung wird.

Könnten Sie vielleicht einige essentielle Denkfehler in der Anschauung dieser terroristischen Gruppierungen aufzeigen?

Die Wurzel für die ideologischen Verirrungen muss in der wichtigen Diskussion um Tawhid, also den Glauben an den einzigen Gott, gesucht werden, die als Grundlage und Basis für alle anderen Glaubensprinzipien und sogar für alle abrahamitischen Religionen gilt. Wie allgemein bekannt ist, stehen diese terroristischen Gruppierungen unter dem ideologischen Einfluss von einigen sogenannten Gelehrten und Sekten, die auch Anhänger einer strengen wörtlichen Qur’anübersetzung sind und eine Deutung bzw. eine metaphorische Übersetzung auf der Basis von rationalen Gründen sowie Hinweise durch die Hadise ablehnen. Sie haben in der Qur’aninterpretation mancher Qur‘anajen aufgrund einer wörtlichen Übersetzung eine Vorstellung  von einem materiellen Gott und meinen, dass Gott eine Art Körper besitzt. Das kann die Wurzel von einigen Problemen sein. In der Denkrichtung der Ahl-ul-Beit wird jegliche Ansicht von einem materiellen Gott vehement abgelehnt. Alles, was wir uns in unseren Gedanken vorstellen, ist ein Produkt unseres Denkens und hat nichts mit Gott zu tun. Wenn Gott aus seiner immateriellen und unerreichbaren Stellung hinuntergeholt und verkörperlicht wird, dann kann allmählich auch in seinem Namen auch gesprochen werden und in Bezug auf die anderen geurteilt und verurteilt werden. Ungläubige abzustempeln, Paradies und Hölle aufzuteilen, Fatwas zum Mord an Andersgläubigen oder Andersdenkenden  abzugeben, das alles ist eine natürliche Folge davon.

Eine andere Wurzel der ideologischen Verirrungen ist vielleicht Stolz und Überheblichkeit und die Einstellung besser als andere zu sein, was auch wiederum in der Denkrichtung der Ahl-ul-Beit sehr stark kritisiert wird. In diesem Zusammenhang gibt es zwei passende Überlieferungen. Die eine stammt von Imam Reza (a.)[1] und zählt die Eigenschaften eines Muslims mit einem perfekten Verstand auf. Die zehnte Eigenschaft ist die, dass wenn man eine andere Person sieht, zu sagen, dass diese Person sicherlich besser und gottesfürchtiger als man selbst ist. Es ist beachtlich, was für eine enorme Kluft zwischen der Denkrichtung der Ahl-ul-Beit und denjenigen, die ständig dabei sind, andere als Ungläubige abzustempeln und Paradies und Hölle aufzuteilen, besteht.

In einer anderen Hadis heißt es, dass sich einmal Imam Bagher (a.) als er sich im Kreise seiner Anhänger aufgehalten hat, an einen der Anhänger gewendet und zu ihm gesagt hat: „Gott soll dich niemals von einem Gefühl der Unzulänglichkeit und Fehlerhaftigkeit befreien.“[2] 2 Dieser Punkt ist enorm wichtig, denn ohne diese Eigenschaft besteht für den Menschen die Gefahr aufgrund seines Vermögens, Wissens oder seiner Berühmtheit stolz und überheblich zu werden und diese Errungenschaften sich selber zuzuschreiben und nicht Gott. Da dieser sich selbst ja für besser hält, ist die Folge davon, dass er mit Leichtigkeit andere Menschen verurteilt und als Ungläubige abstempelt.

Daher darf sich auch ein großer Gelehrter , wenn er etwa einem drogensüchtigen, betrunkenen Menschen begegnet, der noch dazu auf der Straße schläft, nicht besser fühlen als dieser, da nicht sicher ist, ob er mit einem guten Ergebnis die diesseitige Welt verlassen wird und ob seine guten Taten überhaupt von Gott angenommen werden und ob diese betrunkene Person nicht später ihren Lebensstil  ändern wird und ihr Leben nicht versucht zur Zufriedenheit Gottes zu gestalten.

Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist, dass wir auf der theoretischen Ebene den Wahrheitsanspruch für den Islam erheben, da diese eine vollkommene Religion in unserer Zeit ist und damit auch besser als andere Religionen sein kann, aber auf der Ebene der Praxis und der Realität haben wir nicht das Recht, einfach über andere zu urteilen, da viele Menschen aus Unwissenheit und nicht aus böser Absicht handeln und sie noch nicht mit der Wahrheit konfrontiert worden sind und wir eben auch nicht wissen, ob sie letztendlich durch die Gnade Gottes nicht besser abschneiden werden als wir. Jeder Muslim ist in erster Linie für sich selber verantwortlich und über den Glauben anderer zu urteilen liegt einzig und allein im Ermessen Allahs (s.t.).

[1]Tohaf al-Oghul S. 443.

[2]Al-Kafi  B. 2. S. 72.