Nachdenken und Reflektieren

Das Buch Mafatih-ul-Hayat[1] vom großen Gelehrten Ayatullah Jawadi-Amoli ist eine Sammlung von Aussprüchen des Propheten (s.) und seiner reinen Familie zu verschiedensten Lebens- und Alltagsfragestellungen. Es wird oft als Nachfolgewerk der berühmten Bittgebetsammlung Mafatih-ul-Dschinan[2] bezeichnet, das von Scheikh Abbas Qummi (a.) zusammengestellt wurde und zu den meist verbreitetsten Büchern schiitischen Hintergrunds gehört. Seit dem Erscheinungsjahr 2012 ist das Werk Mafatih-ul-Hayat mindestens 163 Mal nachgedruckt worden[3], wobei jede Auflage 5000 Exemplare zählt.

Der Wert des Nachdenkens und Reflektierens

Der heilige Qur’an und die Überlieferungen haben den Menschen zum Nachdenken aufgerufen. Im Qur’an wird das Nachdenken zu den Eigenschaften der Weisen gezählt.

Wahrlich, in der Schöpfung der Himmel und der Erde und in dem Wechsel der Nacht und des Tages liegen wahre Zeichen für die Verständigen: „die Allahs gedenken im Stehen und im Sitzen und (Liegen) auf ihren Seiten und über die Schöpfung des Himmels und der Erde nachdenken (und sagen): „Unser Herr, Du hast dieses nicht umsonst erschaffen. Gepriesen seist Du, darum hüte uns vor der Strafe des Feuers.“ (Al-i-Imran | 3:190-191; Rassoul)

Der Gesandte Allahs (s.) sprach: „O Ibn Mas’ud! Wann auch immer du etwas machen willst, so handle auf Basis deines Wissens und Verstandes und halte dich von Handlungen fern, die nicht auf Nachdenken und Wissen basieren. Denn Gott der Glorreiche sprach: „Und seid nicht wie jene (Frau), die ihre Strickarbeiten auflöste, nachdem sie diese angefertigt hatte.(An-Nahl | 16:92; Rassoul)“[4]

Auch sprach er (s.): „Zwei stille Rakat (Gebetsabschnitte) mit Nachdenken sind besser als die ganze Nacht (im Gebet) zu stehen.“[5]

Zudem sprach er (s.): „Zu den Eigenschaften des Weisen gehört, dass er immer dann, wenn er sprechen will, (vorher) nachdenkt. Wenn es nützlich ist, dann spricht er und profitiert davon. Sollte es schädlich sein, dann schweigt er und verbleibt in Sicherheit und Gesundheit.“[6]

Imam Sadiq (a.) sprach: „Es kam jemand zum Gesandten Allahs und sagte zu diesem: „O Gesandter Allahs! So gebe mir Rat!“ Der Gesandte Allahs fragte: „Wenn ich dir einen Rat gebe, wirst du diesem dann folgen?“ Diese Frage wiederholte er drei Mal und jedes Mal antwortete der Mann: „Jawohl, o Gesandter Allahs!“ Der Gesandte Allahs sprach dann zu ihm: „Ich rate dir, dass du, immer wenn du handeln möchtest, über die letztendlichen Folgen nachdenkst. Sollte es zum Wachstum führen, so handle danach, und sollte es zum Irrweg führen, so halte dich davon fern[7].

Der Befehlshaber der Gläubigen Imam Ali sprach: „So seid wachsam! Ein Gottesdienst, in dem kein Nachdenken enthalten ist, hat keinen Nutzen!

Auch sagte dieser: „So seid wachsam! Wenn die Rezitation des Qur’an nicht von Nachdenken begleitet ist, so hat sie keinen Nutzen!“[8]

Ferner sagte er in seinem Testament an Muhammad ibn Hanafiya gerichtet: „Wer auch immer in seine Handlungen eintritt, ohne deren Ausgang zu bedenken, der hat sich sehr hässlichen Ereignissen ausgesetzt. Das Nachdenken vor der Handlung beschützt dich vor dem (späteren) Bedauern (der Handlung).“[9]

Ibn Kawwa fragte den Befehlshaber der Gläubigen nach den Besonderheiten des Islam. Dieser antwortete: „Gott, der Erhabene, hat den Islam konstituiert und hat ihn zu einer Kleidung für die Nachdenkenden gemacht und zur Ursache des Verständnisses für die Scharfsichtigen.“[10]

Auch sagt er (a.): „Die beste Art des Gottesdienstes ist das anhaltende Nachdenken über Gott und seine Macht.“[11]

Imam Ridha sprach: „Der (wahre) Gottesdienst ist nicht an der Quantität der Gebete und des Fastens zu erkennen. Der wahre Gottesdienst ist das Nachdenken über die Handlungen Gottes, des Majestätischen.“[12]

Das Nachdenken und Reflektieren beim Handeln

Der Gesandte Allahs (s.) sprach zu einer Person: „Ich rate dir, dass du dir, wann immer du handeln möchtest, über die letztendlichen Folgen Gedanken machst. Sollte es zum Wachstum führen, so handle danach, und sollte es zum Irrweg führen, so halte dich davon fern.“[13]

Ferner sprach er (s.): „Gott, der Erhabene, mag es, wenn ein jeder von euch, der eine Handlung vollzieht, dies mit fester Überzeugung macht.“[14]

Der Befehlshaber der Gläubigen Imam Ali (a.) sprach: „Die Festigkeit des Lebens basiert auf der guten Planung und der Maßstab davon ist die gute Vorsorge.“[15]

Imam Sadiq (a.) sprach: „Drei Dinge halten einen davon ab, einen höheren Rang zu erlangen: 1. Geringe Anstrengungen 2. Wenig Scharfsinn 3. Schwäche in den Gedanken.“[16]

Auch sagte Imam Sadiq (a.) über die Maßnahmen, die Salman al Farsis (r.) vornahm: „Er legte die Ausgaben von einem Jahr beiseite, damit das Einkommen des nächsten Jahres reichte.“[17]

Imam Dschawad (a.) sprach: „Das Enthüllen einer Angelegenheit, bevor sie gefestigt ist, führt zur Verdorbenheit.“[18]

Das Vermeiden von Zwang

Der Islam hat für die verschiedensten menschlichen Angelegenheiten Regelungen und sieht in keinem der gottesdienstlichen, verhaltenstechnischen, materiellen oder spirituellen Bereiche Verpflichtungen vor, die die Fähigkeiten übersteigen. Die Ahl ul Bait (a.) haben in allen Kontexten ihre Anhänger zu einem angenehmen und harmonischen und ungezwungenen Leben ermahnt.

Ungezwungen in dem Sinne, dass sie sich nicht quälen oder sich, ohne dass es dafür eine Anweisung gäbe, Arbeiten aufbürden. Auf dieser Grundlage sagt man zu einer Person, die von Einflüsterungen betroffen ist, „Mutakallaf“ (Jemand, der sich abquält), da er sehr hart zu sich selbst ist, ohne dass er einen Befehl von Gott oder dem Propheten erhalten hat.

Der Gesandte Allahs (s.) sprach: „Ich mag die Mutakallifin (Personen, die sich unnötig abquälen) nicht.“[19]

Auch sprach er (s.): „Zwinge den Gästen nicht Dinge auf, die ihnen schwer sind.“[20]

Ferner sprach er (s.): „Setzt euch wegen der Gästen nicht Erschwernissen aus.“[21]

Zudem sprach er (s.): „Das Liebhaben des Bruders bedeutet in der Religion, dass man seine Geschenke annimmt und den, von dem man etwas hat, beschenkt, und dass man sich wegen ihm keine Erschwernisse aufbürdet.“[22]

Der Befehlshaber der Gläubigen Imam Ali (a.) sprach: „Das bekömmlichste Leben wird durch das Verbannen der Zwänge hervorgerufen.“[23]

Auch hat er (a.) zu seinem Sohn gesprochen: „O mein Sohn! Die Alltagsversorgung ist zweierlei: Es gibt die Alltagsversorgung, nach der du suchst und die Alltagsversorgung, die nach dir sucht. Wenn du also nicht zu ihr gehst, kommt sie zu dir. So erlege deinen Kummer eines Jahres nicht dem Kummer eines Tages auf. Mache dir Gedanken über die Alltagsversorgung jenes Tages, in dem du dich befindest.“[24]

Imam Sadiq (a.) sprach: „Der Gläubige erlegt sich selbst wegen seiner Freunde keine Bürden auf.“[25]

Auch sprach er (a.): „Der beschwerlichste meiner Brüder ist jener, der sich am meisten für mich anstrengt. Von diesem enthalte ich mich. Und der unkomplizierteste meiner Brüder ist jener,  dem gegenüber ich so bin, wie wenn ich alleine bin.“[26]

Ferner sprach er (a.): „Wenn jemand (unangekündigt) zu dir zu Besuch kommt, so setze ihm vor, was du da hast. Solltest du ihn jedoch eingeladen haben, so gebe dir (im Rahmen des Möglichen) Mühe.“[27]

Zudem sprach er (a.) auch: „Es gebührt einem Gläubigen nicht, dass er unterwürfig ist.“ Man fragte ihn: „Wie unterwirft er sich denn?“ Er antwortete: „Er widmet sich einer Aufgabe, die nicht seinen Fähigkeiten entspricht.“(Al Kafi, Band 5, S. 64)

Weiter wird von Imam Sadiq (a.) auch überliefert, dass er sagte: „Das sich Auferlegen von Bürden gehört nicht zum Verhalten der Tugendhaften und den Devisen der Enthaltsamen. Gott sprach zu seinem Propheten (s.): „Sprich: Ich verlange von euch keinen Lohn und ich gehöre nicht zu jenen, die sich große Bürden aufladen.“ Auch der Prophet (s.) sprach: „Wir Propheten und Freunde Gottes halten uns vor dem uns Aufbürden großer Bürden fern. So fürchte Allah und sei geduldig und standhaft, auf dass dich Gott von den Zwängen fernhält und dir das Naturell des Glaubens gibt. So beschäftige dich nicht mit der Speise, deren Resultat die Ausscheidung ist und (nicht mit) Kleidung, deren Ende die Fäulnis ist und (nicht mit) einem Haus, dessen Ende die Verödung ist und (nicht mit) einem Besitz, dessen Ende die Vererbung ist und (nicht mit) Freunden, deren Ende die Trennung ist und (nicht mit)  Ehre, deren Ende die Unterwürfigkeit ist und (nicht mit)  Anstand und Ehrfurcht, deren Ende Unterdrückung und Undank ist und (nicht mit) Vergnügungen, deren Ende Wehmut ist.“[28]

Die Beurteilung der Vernunft

Der Befehlshaber der Gläubigen Imam Ali (a.) sprach: „Die Vernunft der Menschen kann man anhand von sechs Dingen beurteilen: 1. Umgang 2. Handel 3. Erlangen von Rang 4. Verlust von Rang 5. Reichtum 6. Armut.“[29]

 

 

[1]Arab. = Die Schlüssel des Lebens.

[2]Arab. = Die Schlüssel des Paradieses.

[3]Stand: April 2014.

[4]Makarim ul Akhlaq, S. 458.

[5]Makarim ul Akhlaq, S. 300.

[6]Tuhaf ul Uqul, S.28-29.

[7]Al Kafi, Bd. 8, S. 150.

[8]Al Kafi, Bd. 1, S. 36.

[9]Wasa’il usch-Schi‘a, Bd. 15, S. 281-282.

[10]Al Kafi, Bd. 2, S.49.

[11]Al Kafi, Bd. 2, S. 55.

[12]Al Kafi, Bd. 2, S. 55.

[13]Qurb ul Isnad, S. 32.

[14]Adsch-Dschami us-Saghir, S. 284.

[15]Ghurar ul Hikam, S. 354.

[16]Tuhaf ul Uqul, S. 315.

[17]Tuhaf ul Uqul, S. 351.

[18]Tuhaf ul Uqul, S. 457.

[19]Al Kafi, Bd. 6, S. 276.

[20]Makarim al Akhlaq, S. 135.

[21]Adsch-Dschami us-Saghir, Bd. 2, S. 677.

[22]Al Kafi, Bd. 6, S. 276.

[23]Ghurar ul Hikam, S.478.

[24]Al Faqih, Bd. 4, S. 386.

[25]Al Kafi, Bd. 2, S. 47.

[26]Mustradak ul Wasa’il, Bd. 9, S. 155.

[27]Al Mahasin, S. 410.

[28]Bihar ul Anwar, Bd. 70, S. 394-395.

[29]Ghurar ul Hakam, S. 343.