Das Thema „Öffentliche Wahrnehmung der Muslime in Deutschland“ ist ein sehr komplexes Thema, das viel Zeit benötigt, um es gebührend zu behandeln. Denn auf der einen Seite stellt sich die Frage, wie Wahrnehmungen entstehen, welche Mechanismen und Prozesse sich dahinter verbergen und nach welcher Logik diese funktionieren. Des Weiteren stellt sich die Frage, welche Aufgaben die Medien in den jeweiligen politischen Systemen haben – in unserem Fall in der Bundesrepublik Deutschland. Um dieses Themenkomplex wiederum darzustellen, müsste untersucht werden, was die weltanschauliche Grundlage der Bundesrepublik Deutschland ist.
Auf der anderen Seite stellt sich dann aber auch die Frage, wie die Muslime selbst in Deutschland auftreten und welche Leistung sie in diesem Land erbringen. Abschließend müsste verglichen werden, inwieweit die öffentliche Wahrnehmung über die hier lebenden Muslime der Wirklichkeit entspricht. In diesem Artikel möchte ich den Fokus auf folgende Punkte legen: Wie funktionieren Medien grundlegend und welche Art von Berichterstattung ergibt sich daraus für die hier lebenden Muslime. Damit wird auch die Frage beantwortet, welche öffentliche Wahrnehmung über den Islam und ihre Anhänger in Deutschland herrscht.
Medien sind oft ein Spiegelbild der Gesellschaft. Einerseits beeinflussen sie gesellschaftliche Entwicklungen und Trends, andererseits sind sie selbst auch Resultate dieser Entwicklungen. In diesem Zusammenhang ist der Religionsmonitor von 2013, eine von der Bertelsmann Stiftung durchgeführte empirische Untersuchung zur Religiosität in Deutschland, von Bedeutung. Die Studie ermittelt, dass nur 38,5 Prozent der Menschen in Deutschland schwach oder stark an einen Gott glauben. Hinzu kommt, dass nur eine Minderheit der mehrheitlich Religiösen, also die Christen, an klassische religiöse Glaubenssätze glaubt, wie Paradies, Hölle, Jüngstes Gericht und dergleichen, wie weitere Studien es belegen. Der Grad der Individualisierung der Religion, das heißt sich eine Religion aus eigenem Gutdünken zu basteln, ist in Deutschland demnach sehr hoch.
Diese persönliche Einstellung der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland führt dazu, dass Gruppen, die festen, zeitlosen, moralischen und ethischen Glaubenssätzen folgen, als rückständig, befremdlich und in letzter Instanz als bedrohlich empfunden werden. Weitere Studien belegen, dass die Religionsanhänger in Deutschland mit der höchsten religiösen Praxis und Verbundenheit mit einem gewissermaßen „zeitlosen“ Religionsverständnis die Muslime sind. Folglich sorgt diese Bruchlinie zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den minoritären Muslimen für potentielle Spannungen, die von den Medien natürlich aufgegriffen werden, da diese einen Nachrichtenwert darstellen.
Und hier kommen wir zur Crux der Thematik. Klassischerweise sollen Medien in einer liberal demokratischen Staatsordnung die Rolle eines Korrektivs spielen, sie sollen die Politik beobachten und die Öffentlichkeit aufklären. In der Praxis gelingen diese idealen Bestrebungen allzu oft nicht. Denn Medien sind letztlich Wirtschaftsunternehmen, die primär darauf aus sind, ihre Auflagen, Zuschaueranzahl und Leserschaft zu erhöhen, um dadurch mehr Einnahmen zu erzielen und ihre Existenz zu sichern. Diesem Zweck sind Ideale wie Aufklärung, Differenzierung und Nüchternheit nicht dienlich. Ein Artikel mit einer sachlichen, differenzierten und nüchternen Überschrift zieht viel weniger Leserschaft an als eine sensationslüsterne, plakative, vereinfachte und provokative Überschrift. Insbesondere das primäre Ziel von privaten Mediengiganten ist nicht die Erziehung und Vervollkommnung der Menschen oder ihre Aufklärung. Vielmehr folgen sie wesentlich dem Zwang der Existenzsicherung oder gar dem kapitalistischen Zwang der Profitsucht.
Staatliche Medien, die diesem kapitalistischen Zwang nicht ausgesetzt sind, weil sie überwiegend von der öffentlichen Hand finanziert werden, berichten demzufolge differenzierter und sachlicher. Allerdings sehen sie sich immer mehr im Wettbewerb zu den Privatmedien und stehen in interner Konkurrenz zu anderen Produktionsfirmen, das heißt, die Produktionsfirma der Diskussionssendung „Günther Jauch“, die bei der ARD läuft, steht in Konkurrenz um Einschaltquoten zu der Diskussionssendung „Hart aber Fair“, die auch bei der ARD läuft. Dieser Konkurrenzdruck führt oft dazu, dass Qualität nicht im Vordergrund steht, sondern die Quantität. Denn Werbeeinnahmen werden hauptsächlich durch hohe Einschaltquoten erzielt. Man mutet aber den Zuschauer nicht zu, eine Sendung mit einem wissenschaftlichen Diskurs von Fachleuten zu zeigen. Es gibt die allgemeine Furcht unter den Medienleuten, dass solche Formate die Zuschauer langweilen und abschrecken. Man will den Zuschauer und Leser nicht herausfordern, sondern eher unterhalten.
Diese Medienlogik des Infotainments verursacht dann, dass Medien überwiegend schlechte Nachrichten aufgreifen. Ein berühmter Grundsatz in der Medienwelt lautet: „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.“ Schlechte Nachrichten haben nämlich einen Unterhaltungsfaktor. Diese werden dann entsprechend der Medienlogik oft vereinfacht, pauschal und einseitig in Gut und Böse-Schemen dargestellt. Es hat z. B. etwa zehn Jahre nach dem 11. September gebraucht, bis endlich die Medien begonnen haben, zwischen den verschiedenen islamischen Konfessionen zu unterscheiden und die Al-Qaida als ein Phänomen innerhalb des Salafismus zu zeigen. Davor wurden fast ausnahmslos sämtliche politische oder militante islamisch begründete Organisationen einfach mit dem Schlagwort „islamistisch“ beschrieben. Rein begrifflich führt aber so eine Pauschalisierung dazu, dass unerwähnt bleibt, dass die meisten Opfer von Organisation, wie der Al-Qaida oder der salafistisch begründete IS eben Muslime sind.
Der Terminus „Islamismus“ wird nämlich in der Abgrenzung zu allen anderen Religionen und Weltanschauungen wahrgenommen, wohingegen der Terminus „Salafismus“ auch in der Abgrenzung zu anderen islamischen Konfessionen verstanden wird. Das heißt, indem die Beschreibung „islamistisch“ verwendet wird, wird suggeriert, dass Muslime selbst nicht von diesem Phänomen bedroht sind. Wird hingegen die Beschreibung „salafistisch“ verwendet, wird deutlich, dass andere Muslime ebenfalls von dieser Bedrohung betroffen sind. Ferner wird damit klar, dass der Islam an sich keine Gefahr ist, sondern lediglich bestimmte Auslegungen, die aber bei allen Weltanschauungen anzutreffen sind.
Dieses kleine Beispiel zeigt, wie einerseits Worte suggestiv Wahrnehmungen produzieren und wie andererseits die kapitalistische Medienlogik diese Worte eben indifferent, pauschal und plakativ verwendet, um die Leser und Zuschauer nicht zu überfordern. Ja, manchmal führt diese Medienlogik, die auf hohe Einschaltquoten und eine große Leserschaft abzielt, sogar dazu, bestehende Vorurteile in der Gesellschaft aufzugreifen, diese zu bestärken und zu vertiefen.
So werden typische Probleme von Emigranten im Bezug auf Muslime nicht soziologisch, sondern oft als Probleme, die religiös begründet sind, dargestellt. Häufig werden dann in Diskussionsrunden sogenannte Islamkritiker als Gesprächsteilnehmer mit eingeladen, die die zu erwartende und quasi kalkulierte Provokation mitliefern sollen, um dadurch der Sendung noch den gewissen Reiz zu geben.
Diese mediale Vereinfachung und Sensationslust bewirkt in der öffentlichen Wahrnehmung eine zunehmende Islamfeindlichkeit. Die eingangs erwähnte Bertelsmannstudie fragte 2013 die Menschen in Deutschland: „Wenn Sie an die Religionen denken, die es auf der Welt gibt: Als wie bedrohlich bzw. wie bereichernd nehmen Sie die folgenden Religionen wahr?“ Tatsächlich schneidet der Islam bei dieser Befragung am negativsten ab: 53 Prozent der Menschen in Deutschland nehmen den Islam als bedrohlich und nur 26 Prozent als bereichernd wahr. Zum Vergleich: 45,5 Prozent der Menschen in Deutschland nehmen den Hinduismus als bereichernd und 11,5 Prozent als bedrohlich wahr, obwohl man aus westlicher Sicht vielleicht weit mehr Kritikpunkte gegen den Hinduismus anbringen könnte als gegen den Islam.
Diese und andere Umfragen mit ähnlichen Ergebnissen zeigen den enormen Einfluss von medialen Bildern. Der Hinduismus wird derzeit nicht als politische Waffe gegen den Westen eingesetzt, auch steht seine Weltanschauung nicht in der Konkurrenz zu der des Westens. Das Land mit den meisten Hindus, Indien, grenzt nicht an Israel und ist ebenfalls nicht der Feind des Westens. Ebenso gibt es in Deutschlang wenige Hindus, womit der Anlass für negative Berichterstattungen über die typischen Probleme von Emigranten im Bezug auf Hindus kaum gegeben ist. Kurzum ist aufgrund der weltpolitischen Konstellation und der demographischen Verhältnisse in Deutschland nicht der Hinduismus, sondern der Islam Opfer der beschriebenen Medienlogik. Und es ist in erster Linie die Aufgabe von Muslimen, sich medienpolitische Kompetenzen anzuzeigen und sich damit effektiv in den etablierten Medien zu engagieren, wie es die Pflicht der Medien ist, wieder die journalistische Ethik von Verantwortung, guter Recherche und Authentizität anzuwenden.