Musa Sadeqi
Was wird aus uns nach dem Tod? Das ist eine der dringendsten Fragen, die der Mensch sich stellt. Ist das Leben nur auf die Zeitspanne von der Geburt bis zum Ableben beschränkt oder erwartet den Menschen nach diesem irdischen Leben ein ewiges Morgen? Verbirgt sich hinter all diesem Eintreffen und Abschiednehmen, diesem Entstehen und Vergehen eine Absicht Gottes? Es gibt eine wichtige Wahrheit namens Maad. Damit ist im Islam die Auferstehung nach dem Tod am Jüngsten Tag gemeint. Nach dem Aufruf zum Glauben an Tauhid ist nichts so sehr vom Qur’an hervorgehoben worden wie Maad – die Rückkehr zu Gott.
Der Wunsch nach Unsterblichkeit
Es ist seit jeher einer der größten Wünsche des Menschen gewesen, ewig zu leben. Kaum jemand kann in Wirklichkeit leugnen, dass er den Tod im Sinne einer völligen Vernichtung fürchtet. Das menschliche Verlangen nach ewiger Existenz beobachten wir überall in der Geschichte. Die antiken Grabstätten zeugen davon, dass damals die Menschen an ein Leben nach dem Tod glaubten. Sie trafen in der Hoffnung Vorkehrungen, ihren Verstorbenen in der anderen Welt ein angenehmes Leben zu bereiten. Vor dreitausend Jahren glaubten die Griechen an ein Leben nach dem Tod. Sie legten den Verstorbenen Essen mit ins Grab, um sie schon einmal fürs Erste in der neuen Welt nach dem Tod zu versorgen. Im alten Mexiko war es üblich, dass der Hofnarr mit dem König begraben wurde, damit er durch seine Späße dem König den Kummer im Grab vertrieb. In Asien und Afrika gab es ähnliche Sitten. Das Bemühen von Gelehrten ein Elixier für die ewige Jugend zu finden, sind ebenso ein Hinweis auf den Wunsch nach Unsterblichkeit. Das Verlangen nach ewiger Existenz ist Teil des menschlichen Wesens.
Der Mensch verspürt mal Vitalität im Leben, mal fühlt er sich fremd in dieser Welt. Wenn Arbeitsalltag und Freizeitvergnügen beendet sind, empfindet er eine gewisse Leere in sich. Selbst ein hoher Lebensstandard kann ihn nicht völlig ausfüllen, denn immer wieder taucht in ihm die Frage auf: Wozu lebe ich überhaupt? Wozu wurde ich erschaffen? In Wahrheit wird ihm in diesen Momenten diese weite Welt mit ihren vielen Möglichkeiten irgendwie zu eng. Seinen Körper empfindet er als Käfig und die Welt als Kerker. Dieses Gefühl und sein natürliches Sehnen nach Unvergänglichkeit sind der Ausgangspunkt für den Glauben des Menschen, dass eine Zeit kommen müsse, in der er völlig zufrieden und an alle seine Wünsche gelangt ist. Für jedes innere Bedürfnis des Menschen gibt es eine Erwiderung außerhalb von ihm. Zum Beispiel gibt es Wasser, mit dem er seinen Durst stillt und wenn er hungrig ist, kann er Nahrung zu sich nehmen, um satt zu werden. Auch das Gefühl des Menschen, in dieser Welt fremd zu sein, wird erwidert, und zwar durch die Verheißung der Rückkehr zu seinem Herrn, dem Barmherzigen und Gnädigen.
Der amerikanische Psychologe Norman Vincent schreibt im Zusammenhang mit diesem natürlichen Verlangen des Menschen nach dem Ewigen Leben: „Es besteht nicht der geringste Zweifel am ewigen Leben und ich bin davon überzeugt. In Wahrheit ist das natürliche Gefühl für das ewige Leben in sich einer der wichtigsten Beweise, welche uns in Richtung dieser Wahrheit drängen. Wenn Gott der Höchsterhabene möchte, dass wir eine Wahrheit erkennen, streut er zunächst das Saatkorn dazu in unser Herz. Das Verlangen des Menschen nach Unvergänglichkeit und Ewig-Sein ist so groß, dass es absolut inakzeptabel ist, dass dieser Wunsch nicht erfüllt werden sollte.“ Die islamische Philosophie sagt das Gleiche, nämlich: Der Wunsch nach Ewigkeit, der in der Gott gegebenen Natur aller Menschen (der Fitra) vorhanden ist, ist in sich einer der stärksten Beweise für die Existenz des Lebens nach dem Tod. Wenn Gott den Menschen in Richtung einer Wahrheit lenken will, gibt er seinen natürlichen Trieben oder seiner Fitra einen auslösenden Faktor bei. Wegen dieser weisen Vorkehrung verlangt es jeden innerlich nach dem Ewigen Leben. Diese Empfindung ist sogar so fest verwurzelt, dass es den Glauben an ein ewiges Leben bereits in den ältesten Epochen der Geschichte gegeben hat und dass diese Überzeugung auch heute weiterhin lebendig ist.
Der Jenseitsglaube verleiht dem Leben einen Sinn
Der bekannte französische Schriftsteller Victor Hugo sagt: „Ehrlich gesagt: Sollte der Mensch denken, dass der Tod die Vernichtung bedeutet und diesem Leben absolutes Nichts folgt, hat das Leben keinerlei Wert mehr für ihn. Was das Leben des Menschen angenehm macht und ihm Freude bei seinem Tun beschert, sein Herz erwärmt und seinen Horizont erweitert, ist das, was er durch Offenbarungen und die Religion erhalten hat. Nämlich der Glaube an die Ewige Welt, der Glaube an die Beständigkeit des Menschen, der Glaube daran, dass: Du, o Mensch, nicht vergänglich bist, sondern bleiben wirst. Du bist größer als diese Welt. Diese Welt ist für dich ein kleines vorübergehendes Nest. Diese Welt ist nur eine Wiege für deine Kindheit. Die prächtige und größere Ära ist eine andere.“ Ein erneutes Leben des Menschen nach dem Tod wird auch von der Wissenschaft und Technologie nicht für unmöglich erklärt. Chemische Elemente gehen durch Reaktionen nicht verloren. Es ereignen sich nur Wandlungen. Fällt ein Wassertropfen zu Boden, so verdampft er und wird zu aufsteigendem Dunst und beim Abbrennen einer Kerze verstreuen sich die verbrannten Teilchen im Raum. Wenn sich mit besonderen Hilfsmitteln die verstreuten Teile wieder vereinen lassen und die gleiche Verbindung eingehen, gelangen wir wieder an das Ausgangsmaterial.
Der Körper des Menschen wird nach seinem Tod in seine Bestandteile zerlegt, erfährt Verwandlungen und wird wieder zu Staub. Die Wissenschaftler haben inzwischen Erkenntnisse erzielt, die die Möglichkeit eines neuen Lebens bestätigen. Zum Beispiel weiß man inzwischen, dass die Stammzellen des Menschen nach dem Tod eine Weile weiterleben. Auch haben Physiker mit besonderen Geräten die Tonwellen rekonstruieren können, die in der Vergangenheit von Handwerkern bei der Arbeit erzeugt wurden. Gott der Allmächtige ist zweifelsohne in der Lage, den Körper des Menschen aus seinen verstreuten Staubteilchen zu rekonstruieren. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod und eine Belohnung und Bestrafung für Taten trägt bedeutend zur seelischen Beruhigung und zu Ruhe und Sicherheit in der Gesellschaft bei. Wenn der Mensch nicht an das Leben nach dem Tod glaubt und der Tod für ihn das Ende allen Lebens ist, ergibt dieses Leben keinen Sinn mehr für ihn und er wird Ziellosigkeit empfinden und Sinnleere. Er wird denken: „Was wird schließlich aus all meinen Anstrengungen im Leben?“
Mag sein, dass viele Menschen in den Industrieländern sich ständig zu unterhalten versuchen, damit sie sich von dem Gedanken der Sinnlosigkeit und Ziellosigkeit ablenken. Wer sein Leben auf diesen kurzen Aufenthalt auf der Erde beschränkt sieht, denkt, dass nach dem Ablauf dieses Lebens nur das Nichts auf ihn wartet. Aber wer sich sicher ist, dass es eine ideale Wohnstätte im kommenden Leben gibt, die in nichts mit der hiesigen vergleichbar ist, dem wird eine tiefe innere Ruhe beschert. In dieser idealen ewigen Wohnstätte wird es keine Engstirnigkeit, keinen Geiz und Hass, keine Eifersucht und keine Unsicherheit, keine Ungerechtigkeit und keine Verbrechen und Nöte mehr geben, sondern nur Frieden und Glück.
Wer an das Jenseits glaubt, der glaubt daran, dass das Leben nicht nur aus dem irdischen Dasein besteht. Er weiß, dass dieses irdische Leben im Vergleich zu dem Leben in der kommenden Welt sogar sehr kurz ist. Der Qur’an sagt in Vers 64 der Sure al-Ankabut (29) „Dieses irdische Leben ist nichts als ein Zeitvertreib und ein Spiel; die Wohnstatt des Jenseits aber – das ist das eigentliche Leben, wenn sie es nur wüssten!“ Durch den Jenseitsglauben erhält das Leben ein Ziel. Der Jenseitsgläubige weiß, dass Gott ihn nicht ohne Zweck erschaffen hat. Er weiß, dass er bald zu Ihm zurückkehrt. Gott sagt in der Sure al-Mu‘minun in Vers 115 (Sure 23) „Glaubtet ihr denn, Wir hätten euch in Sinnlosigkeit erschaffen, und ihr würdet nicht zu Uns zurückgebracht?“ Der Jenseitsgläubige betrachtet sein Leben als Vorbereitung auf eine andere Wohnstätte. Das Leben ist für ihn der Acker für die jenseitige Welt.
Wiedererweckung und Rückkehr zum Ursprung
Der Heilige Qur’an lädt den Menschen ausdrücklich zum Nachdenken ein. Er lobt Nachdenken, Vernunft und Weitsicht. Der große zeitgenössische Qur‘ankommentator Allameh Tabatabai schreibt, dass mehr als 300 Mal in Versen des Qur‘ans zur gedanklichen Vertiefung aufgerufen wird. Zu den Themen, über die der Mensch laut Qur’an besonders gründlich nachdenken soll, gehört Maad – die Rückkehr zu Gott, das Leben im Jenseits. Alle Religionslehren himmlischen Ursprungs beinhalten den Glauben an die Auferstehung von den Toten und das Jenseits. Dieses Prinzip zählt zu den Grundpfeilern ihrer Glaubenslehre. Aber es gab und gibt auch Leute, die den Glauben an ein Leben nach dem Tod strikt ablehnen. Allerdings konnten sie niemals einen festen wissenschaftlichen Grund für ihre Ansicht vorlegen. Sie sagen nur: Wie ist es denn möglich, dass ein Toter, der verwest und dessen einzelne Teilchen verstreut sind, wieder lebendig werden soll? Es sind Leute, die die Allmacht Gottes vergessen. Ihnen ist nicht klar, dass Gott das gesamte Dasein mit all seinen wunderbaren Erscheinungen erschaffen hat. Er ist daher mit Gewissheit auch dazu fähig, nach dem Tod neues Leben hervorzubringen. Die Vernunft gebietet zudem, dass es sogar viel einfacher ist, die zerstreuten Teilchen eines Geschöpfes wieder einzusammeln und zu vereinen als aus dem Nichts etwas ins Dasein zu rufen, wie es bei der Schöpfung geschah. Zum Beispiel ist es für jemanden, der eine industrielle Anlage selber erfunden und gebaut hat, sehr einfach, diese erneut aus ihren Montagebestandteilen aufzubauen.
Eigentlich kann sich der Mensch eine Wiederbelebung doch gut vorstellen, denn er begegnet ihr jedes Jahr im Frühling in der Natur. Im Winter wirken die Gärten wie stille Friedhöfe, in denen es kein Leben und kein Grünen gibt und diese Reglosigkeit und Starre dauert bis zum Frühling an. Aber im Frühling werden die Toten von Gestern zu neuem Leben erweckt. Es kommt plötzlich Bewegung in die abgestorbene Erde und neues Leben in die Pflanzenwelt. Diese Szenen von Tod und Wiederbelebung haben die Menschen jedes Jahr vor Augen. Aber viele ziehen aus diesem anschaulichen hinreißenden Schauspiel in der Natur keine Lehre. Sie gehen teilnahmslos und unberührt daran vorbei. Gott hat schon einmal dem Menschen Leben gegeben, warum sollte Er es wie gesagt nicht ein zweites Mal tun können? An einer Stelle in Vers 29 der Sure 7
(al-A‘raf) lesen wir: „Wie Er euch ins Dasein gebracht hat, so werdet ihr (zu Ihm) zurückkehren.“ In anderen Versen wird das Leben nach dem Tod mit dem Wiedererwachen der Natur verglichen (Qaf | 50:8-10): „Und vom Himmel senden Wir Wasser hernieder, das voll des Segens ist, und bringen damit Gärten und Korn zum Ernten hervor… und Wir beleben damit ein totes Land. So wird die Auferstehung sein.“
In Vers 9 der Sure 35 (al-Fatir) bringt Gott für diejenigen, die nicht an das Leben im Jenseits glauben wollen, Analogiebeweise aus dem hiesigen Leben, und es heißt dort: „Und Allah ist es, der die Winde sendet, die das Gewölk hochtreiben. Dann treiben Wir es über eine tote Stadt und beleben damit die Erde nach ihrem Tode. Ebenso wird es bei der Auferstehung der (Toten) sein.“ Der Heilige Koran ziehtim Zusammenhang mit der Wiederbelebung der Toten, auch die Veränderungen auf der Welt zum Vergleich heran. Genauso wie der Beginn der Schöpfung aufgrund einer Reihe von Gesetzen erfolgte, wird auch im Jenseits aufgrund einiger Entwicklungen der Körper des Menschen wieder seine ursprüngliche Form annehmen. Der Mensch wird in den Versen 5 bis 8 der Sure 86 (Tariq)auf diesen Punkt aufmerksam gemacht, denn es heißt dort: „Darum soll der Mensch denn bedenken, woraus er erschaffen ist!“ „Erschaffen wurde er aus einer herausschießenden Flüssigkeit“, „die zwischen den Lenden und den Rippen hervorkommt.“ „Wahrlich, Er (Gott) hat die Macht, ihn (nach seinem Tod) zurückzubringen.“
Diese Qur‘anstelle ruft den Menschen als Erstes auf, über seine erstaunliche Entstehung nachzudenken, damit ihm klar wird, dass der Schöpfer auch die verstreuten Reste und Teilchen seines Körpers nach dem Tod wieder zusammensetzen kann. Der Qur’an bringt einen rationalen Vergleich nahe: Jemand, der eine Tat einmal durchgeführt hat, kann sie auch wiederholen. Der Heilige Qur’an führt auch einige konkrete historische Beispiele für die Wiederbelebung an, die alle für die Auferstehung der Toten sprechen. Ein Beispiel ist die Geschichte des Propheten Uzair. Sie wird in Vers 259 der Sure 2 (al-Baqara) gebracht. Uzair kam auf seinem Reittier an den Ruinen eines Ortes vorbei, an dem die sterblichen Überreste ihrer Bewohner und Menschengebeine herumlagen. Der Tod dieser Menschen lag offensichtlich schon lange zurück. Uzair wurde nachdenklich und dachte: Wie wird Gott diese verwesten Körper wieder zum Leben erwecken? Er stellte sich diese Fragen aber nicht aus Skepsis am Jenseits.
In dem Moment ließ Gott den Uzair sterben und erweckte ihn erst 100 Jahre später wieder zum Leben. Er fragte ihn: „Wie lange hast du an diesem Ort geweilt?“ Uzair dachte, es sei nur kurz gewesen und antwortete: „Einen Tag. Vielleicht auch weniger!“ Aber da erfuhr er, dass er ein Jahrhundert lang an diesem Ort tot auf der Erde gelegen hatte. Daraufhin wurde er aufgefordert, auf seinen Proviant zu schauen. Dieser hatte, weil Gott es so wollte, keinerlei Veränderung erfahren. Im Gegenteil dazu war aber von seinem Reittier nach den 100 Jahren nur noch ein zerstörter Kadaver übrig geblieben. Aber Gott forderte Uzair auf: „Und betrachte die Knochen, wie Wir sie zusammensetzen und dann mit Fleisch bekleiden!“ Uzair wurde erstaunt Zeuge, wie Gott sein Reittier wieder ins Leben zurückholte. Da rief er: „Ich weiß (jetzt), dass Allah zu allem die Macht hat.“
Auch in einer vom Qur’an geschilderten Begebenheit aus dem Leben des Propheten Ibrahim (Abraham, a.) haben wir ein konkretes Beispiel der Wiederbelebung von den Toten voruns. Der Vers 260 der Sure 2 berichtet zusammenfassend davon. Einmal sah Abraham am Ufer eines Flusses die Reste einiger Tierkadaver, über die sich Raubtiere und Raubvögel hergemacht hatten. Da wurde er nachdenklich und dachte: Wenn einmal mit der Leiche des Menschen das Gleiche passiert und die Tiere von ihr fressen und seine Reste in alle Richtungen verteilt werden, wie wird Gott dann am Jüngsten Tag diese Teile wieder einsammeln und ihn von den Toten erwecken? Abraham bat daher Gott: „ O Herr: Zeige mir, wie Du die Toten wieder lebendig werden lässt!“ Da erreichte ihn der Ruf: „Glaubst du denn nicht?“ Und Abraham antwortete: „Doch! Aber (ich frage,) um mein Herz zu beruhigen.“ Abraham war natürlich bereits aufgrund logischer Überlegung zu der Gewissheit gelangt, dass der Mensch nach dem Tod wieder zu Gott zurückkehrt (Maad), aber er bat darum, ein Beispiel erleben zu dürfen, um völlige Gewissheit zu erlangen.
Gott erhörte ihn und gebot ihm: „Nimm dir vier Vögel und schlachte sie. Dann lege auf jeden Berg einige Teile davon. Hierauf rufe sie. Sie werden eilends zu dir kommen.“ Gemäß der Überlieferung handelte es sich bei diesen vier Vögeln um einen Pfau, einen Hahn, eine Taube und einen Raben. Jeder dieser Vögel war Sinnbild für bestimmte Eigenschaften: Der Pfau für Schönheit und Stolz, der Hahn für Triebhaftigkeit, die Taube für Verspieltheit und der Rabe für langfristige Wünsche. Abraham schlachtete die Tiere und zerlegte sie. Er vermischte die Fleischstücke und verteilte sie auf mehrere Anhöhen. Dann rief er, wie Gott ihn geheißen hatte, die Vögel zu sich herbei. Da wurde er Zeuge eines großartigen Geschehens: Die verschiedenen Fleischstücke und Knochen, die er miteinander vermengt hatte und auf verschiedene Berge verteilt hatte, vereinigten sich vor seinen erstaunten Augen wieder zu dem, was sie vorher gewesen waren – und der Pfau und Hahn, die Taube und der Rabe flogen zu ihm herbei. So steht es in Vers 260 der Sure 2 (al-Baqara) geschrieben, der mit folgenden Worten an Abraham endet: „Und wisse, dass Allah Allmächtig und Allweise ist!“ Die Wiedererweckung der Toten ist in der Tat eine Kleinigkeit für Gott, den Allmächtigen, dessen Tun auf Seiner Allweisheit beruht.
Die Einheit von Diesseits und Jenseits
In säkularen Gesellschaften wird Religion als Privatangelegenheit betrachtet. Indes hat der Glaube an Gott und das Ewige Leben unbestreitbar einen Einfluss auf die Gesellschaft. Erst durch diesen Glauben erhält das Leben einen Sinn und ein Ziel und einen besonderen ordnenden Rahmen. Jemand, der an die Rückkehr zu Gott glaubt, der ist einfach völlig anders zur Daseinswelt eingestellt als jemand, der das Jenseits leugnet. Sein Handeln und Verhalten wie sich auch seine Handlungsmotive stark unterscheiden. Ein Mensch, der an das Jenseits glaubt, betrachtet das Leben im Diesseits als Vorstufe für das Jenseits – als einen Acker, auf den er säen muss, um im ewigen Leben Früchte zu ernten. Aus diesem Blickwinkel betrachtet dienen alle Dinge im Leben als Mittel zur Vervollkommnung des Menschen und sein Leben wird angefüllt mit Hoffnung und Eifer.
Die Liebe zum Weltlichen und zu materieller Pracht ist einer der wichtigsten Auslöser von Stress und Besorgnis. Die Auseinandersetzung mit den Angelegenheiten des Lebens sorgt von sich aus für Sorgen und negative Gedanken und raubt dem Menschen seine Ruhe.Die Liebe zu dem vergänglichen Leben stimmt den Menschen oftmals wegen vorhandener Probleme traurig, beunruhigt ihn manchmal wegen seiner Ungewissheit über die Zukunft und manchmal quält ihn der Gedanke an die Misserfolge der Vergangenheit. Der Prophet Gottes unterstreicht: „Die Liebe zum Leben vermehrt den Kummer“. Imam Ali (a) sagt ebenso:“… jeder, der vom Leben begeistert ist, dessen Herz wird von drei Dingen beherrscht: Kummer, der nicht nachgibt, Begierde, die ihn nicht in Ruhe lässt, und Wünsche, die er nicht erreicht.“
Aber der Glaube an die Wiedererweckung von den Toten ist die Hoffnung auf einen sicheren Hafen, das rettende Ufer, an dem das Schiff des Lebens anlegt. Denn der Glaube ans Jenseits trocknet die Hoffnungslosigkeit, welche eine Pest für die Seele des Menschen ist, an den Wurzeln aus. Der Jenseitsgläubige erwartet ein Leben nach dem Tod, in dem viele seiner größten Wünsche erfüllt werden. So werden gemäß dem Qur’an in jener Welt absoluter Friede und völlige Sicherheit herrschen (al-An’am | 6:127). Außerdem wird das jenseitige Leben und Glück ewig währen (al-Mu’minun | 40:39).
Der Glaube an die Rückkehr zu Gott und das Ewige Leben gibt dem irdischen Leben nicht nur Richtung und Sinn, sondern hat auch eine tiefe erzieherische Wirkung auf den Menschen. Dieser Glaube schenkt dem Menschen Tapferkeit und Mut. Er macht ihn derartig mutig, dass er auch unter sehr harten und gefährlichen Bedingungen dennoch nie gegenüber denen, die Unrecht begehen, kapituliert. Die Überzeugung von der Auferstehung der Toten löst einen gewaltigen Wandel in Geist und Seele des Menschen aus. Dieser ist so groß, dass es ihm leicht fällt, die Härten zu ertragen, die auf ihn bei der Erfüllung seiner Pflichten zukommen und er ihnen sogar entgegen geht. Er beugt sich niemals dem Unrecht, denn er ist fest davon überzeugt, dass jede gute oder schlechte Tat vergolten wird. Ein anschauliches Beispiel für diesen Glauben und Wandel geben die Magier am Hofe des Pharaos ab. Angesichts des überzeugenden Wunders, das Mose (a.) vorführte, bekannten sie sich furchtlos zu Gott und der Lehre Moses.
Das war für den Pharao ein großer Schlag, denn er hatte ihnen versprochen, sie zu seinen nahen Vertrauten zu machen, falls sie Mose mit ihren Zaubertricks in den Schatten stellen. Daher drohte Pharao den Zauberern an, sie auf schwerste Art zu bestrafen, aber sie antworteten ihm gemäß Sure 20, Verse 72f.: „… ‘Wir werden dich den klaren Zeichen des Beweises, die zu uns gekommen sind, und unserem Schöpfer nicht vorziehen. Gebiete, was du gebieten magst: du kannst ja doch nur über dieses irdische Leben gebieten.’“ „‘Wir glauben an unseren Herrn, auf dass Er uns unsere Sünden und die Zauberei, zu der du uns genötigt hast, vergebe. Allah ist der Beste und der Beständigste.’“
Leben im Gleichgewicht
Im Menschen existieren eine Reihe von Trieben wie der Geschlechtstrieb, der Machttrieb, der Trieb nach Anhäufung von Reichtum. Wenn diese Triebe nicht kontrolliert und klar beschränkt werden, verursachen sie ein Chaos, zerstören die Grundlage des Lebens und bereiten Ruhe und Sicherheit ein Ende. Der Glaube an Gott und an die Rückkehr zu Ihm und an die Vergeltung für die Taten sind wichtige Größen, die ein solches Dilemma verhindern. Sie vermögen die Triebbedürfnisse des Menschen in ein vernünftiges Gleichgewicht und unter Kontrolle zu bringen und sie in die von Gott gewünschte Bahn zu lenken. Wer an Maad – die Rückkehr zu Gott glaubt und an das Leben nach dem Tod und sich gewiss ist, dass alle seine Taten und sein gesamtes Verhalten und sogar seine Absichten haargenau beobachtet werden, der handelt nicht schamlos und tollkühn im Leben.
Ihm ist nämlich bewusst, dass alle seine Taten registriert werden und nicht nur das: Ihm ist klar, dass die Lebensqualität nach der Auferstehung der Toten von seinen Taten abhängt. Wenn der Qur’an Begebenheiten in der Geschichte schildert, wird oft der erzieherische Effekt des Jenseitsglaubens offensichtlich. Dieser Glaube rettet den Menschen in kritischen Situationen. In dem Bericht aus dem Leben von Prophet Yusuf (Josef) wird eine solche kritische Situation geschildert: Zuleicha (Zuleika), die Gemahlin eines hohen Beamten des Pharaos, will ihren Sklaven, den schönen Jüngling Yusuf, verführen, doch Yusuf lässt sich nicht zum Ehebruch verleiten. Über die Kraft, die Yusuf vor dieser schweren Sünde rettete, lässt der Qur’an ihn selber sprechen. Er zitiert ihn in Sure 12, die nach ihm benannt ist, in Vers 23 wie folgt: „Er sagte: ´Ich suche Zuflucht bei Allah. Er ist mein Herr. Er hat mich (in eurem Haus) gut aufgenommen. Den Frevlern wird es (im Jenseits) nicht wohl ergehen.’“
Yusuf (a.) haben zwei starke Kräfte von der Sünde abgehalten: Erstens der Glaube daran, dass Gott der Herr ist und der Glaube an die Rückkehr zum Herrn. Wäre Yusuf nicht davon überzeugt gewesen, dass es ein Jenseits gibt, so hätte ihn nichts vor der Sünde gerettet. Doch der Glaube ans Jenseits vermag noch mehr zu leisten. Er erzieht die Einzelnen und verbessert die Gemeinschaft in Richtung des Guten. Daher haben alle Religionen göttlichen Ursprungs diesen Glauben genutzt, um die Menschen in einer Gesellschaft seelisch zu veredeln. Der Glaube an das Leben nach dem Tod und die ins Jenseits hineinreichende Wirkung von Taten ist ein starkes Hemmnis gegenüber Verstößen. Dieser Glaube kann viel besser als gewöhnliche Strafen und Gerichtsprozesse verdorbene Menschen rechtschaffen machen und viel stärker als gewöhnliche Anreize und Belohnungen rechtschaffene Menschen anspornen. Beim Jüngsten Gericht kann niemand Widerspruch einlegen, noch Beziehungen spielen lassen oder den Richter hinters Licht führen.
Der Jenseitsglaube trägt wesentlich zur allgemeinen Moral bei. Imam Ali hat daher seine Gouverneure angehalten, niemals Gott zu vergessen und die Rückkehr zu Ihm und das Jüngste Gericht immer im Auge zu behalten, damit sie den moralischen Grundsätzen treublieben. Er bezeichnet das Unrecht an den Menschen (gemäß Brief 26 im Nahdsch-ul Balagha) als schlimmstes Mitbringsel in das Jenseits und warnt seine Beamten, jedem seinen Anteil zu geben, da sie ansonsten am Tag der Auferstehung zu denen gehören werden, die die meisten Feinde haben. Imam Ali (a.) empfiehlt seinem Befehlshaber Malek Aschtar in Ägypten (gemäß Brief 53), sehr oft an die Rückkehr zum Allmächtigen zu denken, damit er das Richtige tut und kein Unrecht begeht. Durch den Glauben an das Jenseits erhalten einige hohe moralische Werte wie Großzügigkeit, Selbstverzicht und Opferbereitschaft einen Sinn. Diese guten Eigenschaften werden vom Glauben an das Leben im Jenseits genährt. Der Glaube an die Auferstehung von den Toten erweckt im Menschen Verantwortungsgefühl gegenüber den Bedürftigen.
Der Qur’an weist auf den Zusammenhang zwischen der Leugnung des Jenseits und dem Absterben menschlicher Gefühle hin. Ein Mensch, der nicht an das Jenseits glaubt, kann so hartherzig werden, dass er kein Mitleid mehr verspürt, selbst nicht mit Waisenkindern und Hungernden: Wir lesen in der Sure Ma’un (al-Ma’un | 107 1-3) Hast du den gesehen, der das Gericht leugnet?“ „Das ist der, der (erbarmungslos) die Waise wegstößt“ – und nicht zur Speisung des Armen anspornt.“ Wer an die große Rückkehr glaubt, der wird sich nach besten Kräften darum bemühen, Gottes Gebote zu befolgen, den Menschen zu helfen und sich vor Sünden zu hüten. Auf diese Weise wird er eine helle ewige Zukunft für sich aufbauen.